Die obigen Abbildungen zeigen links jeweils fünf
Bewegungsphasen aus dem Gehzyklus einer Figur, die
für einen Schritt notwendig sind. Die fünfte Phase ist
dabei die seitenvertauschte Kopie der ersten Phase. Daneben laufen
die fertigen Animationen, für die insgesamt acht Bewegungsphasen
benutzt wurden.
Die Grafiken aus der ersten Zeile stammen aus einem 3-D-Computerprogramm,
in der zweiten Zeile sehen wir die Zeichnungen
des Trickfilmzeichners Preston Blair, der sich einem
klassischen Disney-Stil verpflichtet fühlt. Während das
3-D-Programm versucht, möglichst naturalistisch Körperproportionen
und Bewegungsmuster des Menschen zu imitieren, setzt die "Cartoon"-Animation
auf Übertreibung in jeglicher Hinsicht. Sowohl Körperproportionen
als auch die Bewegungsphasen sind extrem überzeichnet. Der
Körper der Figur benötigt nur etwa doppelt soviel Höhe
wie der Kopf, die Armbewegungen sind ausladend und speziell die
Fußstellung in Phase 4 weicht erheblich von einer naturalistischen
Bewegung ab. Vergleicht man den Charakter der beiden Animationen,
so wirkt die 3-D-Animation sachlich, die gezeichnete Fassung hat
Witz und Charme.
Dennoch bauen beide Animationen auf demselben Prinzip auf, das darin
besteht, den Bewegungsablauf eines Schrittes in im Wesentlichen
vier Bewegungsphasen aufzuschlüsseln, wobei wiederum - wie
in Übung 1 "Rollender Ball" - die beiden Hauptphasen
und die erste Mittelphase von größter Bedeutung sind.
Übertrieben formuliert, lässt sich der Gehzyklus auf diesen
ersten zwei Zeichnungen aufbauen.
Gehende Figur
Im folgenden Tutorial zur Erstellung einer eigenen gehenden Figur
wird eine schematische "Strichmännchen"-Figur benutzt.
Dies geschieht einerseits, um die Entwicklung der Zeichnungen zu
erleichtern, und andererseits, um keine stilistische Vorgabe zu
machen.
Download "Gehendes Strichmännchen,
5 Phasen, nebeneinander" PDF
(11 kB)
Analog zu den einleitenden Beispielanimationen soll die fertige
Animation aus acht Phasen
bestehen, dementsprechend werden die entstehenden Zeichnungen nummeriert.
Die Animation wird vorerst als Sliding
Feet - Animation erstellt, d.h., die Figur geht
auf der Stelle, sozusagen wie auf einem laufenden Förderband.
Dies erleichtert die Entwicklung der zyklischen
Bewegung ungemein, die fertigen Bewegungsphasen
können dann für eine Bewegung durch den Raum durchkopiert
werden.
Tipp: Es erleichtert
die Arbeit, wenn die folgenden Arbeitsschritte vorerst nur mit Zeichnungen
von Füßen und Becken nachvollzogen werden und Oberkörper
und Arme in einem zweiten Durchlauf aufgesetzt werden. Um Platz
zu sparen, erfolgt hier die Darstellung gleich mit der ganzen Figur.
Schritt 1: Grundposition - Zwei Hauptphasen
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Die
erste Phase der Animation bildet jene Körperhaltung,
in der beide Füße den Boden berühren. Dabei
können nicht beide Beine "fest am Boden stehen",
sondern entweder wird das vordere Bein gerade aufgesetzt,
oder das hintere ist gerade kurz davor, vom Boden abzuheben.
Hier wurde die zweite Möglichkeit gewählt.
Nachdem in der Strichzeichnung vorerst unerheblich ist,
welches das rechte und welches das linke Bein sein soll,
bildet diese Zeichnung zugleich zwei Hauptphasen, die Bilder
Nr. 1 und Nr. 5.
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Schritt
2: Mittelphase: erstes In-Between
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Die
Mittelphase zwischen Bild Nr. 1 und Bild Nr. 5. ist jene
Position, an der ein Bein
gestreckt ist und sich genau in der Mitte
zwischen den Positionen von linkem und rechtem Fuß
aus Zeichnung 1 befindet. Es ist sozusagen am Boden den
halben Weg nach hinten "gerutscht". Das zweite
Bein, das in Zeichnung 1 gerade vom Boden abgehoben wurde,
hat den halben Weg nach vorne zurückgelegt, es ist
angewinkelt und befindet sich nun auch in etwa im Bereich
der Mittelachse des Körpers. Wichtig ist noch, dass
hier der Körper vom Becken ausgehend angehoben (ob
leicht oder übertrieben, hängt vom Stil ab!) ist.
Die Zeichnung erhält die Nr.3 und wird später
auch als Vorlage für Phase Nr. 7 dienen. |
Schritt
3: In-Betweens Nr. 2 und Nr. 4
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Entsprechend
der Skizze wird die Zwischenphase Nr. 2 angefertigt.
Das hintere Bein befindet sich am Weg zur Mitte und hebt
dabei vom Boden ab, das vordere ist ein Stück nach
hinten gerutscht. Die Position von Kopf
und Körper muss sich in der Mitte zwischen
Phase Nr. 1 und Nr. 3 befinden.
Ähnlich wie bei Übungen 1 und 2 ist es sinnvoll,
Bewegungspfade
für die Arme und Beine zu erstellen, damit die Animation
"rund" läuft. Als Knotenpunkte für Pfade
bieten sich die beweglichen Gelenke (Ferse, Knie, Ellbogen,
Hand) an.
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Zur
Erstellung der Zwischenphase Nr. 4 wird ein In-Between zwischen
Nr. 3 und Nr. 5 erstellt, de facto sind es hier die gleichen
zwei Ausgangsbilder wie zuvor. Die Körperposition ist
hinsichtlich der Höhe identisch mit Phase Nr. 2. Das
vordere, hochgehobene Bein ist nun am Weg von der Mitte
der Körpers zum Aufsetzen am Boden, das hintere Bein
rutscht gerade aus der Mittelposition nach hinten.
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Für
die Phase 4 gibt es zwei Varianten. In der hier dargestellten Version
wird das Bein aus der gehobenen Mittelphase abwärts und nach
vorne bewegt. Diese Version entspricht dem naturalistischen Gehen
(siehe Fotoserie E. Muybridge), wirkt gezeichnet aber tendenziell
eher wie ein sehr zurückhaltender Gang. Auch die Computeranimation
zu Beginn des Kapitels benutzt diese Art der Phase Nr. 4.
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In
der zweiten Fassung der Phase Nr. 4 wird das vordere Bein
noch weiter nach oben und vorne gesetzt, bevor es in einer
Rückwärtsbewegung am Boden aufsetzt. Diese Bewegungsart
ist auch aus der Animation von Preston Blair aus der Einleitung
ablesbar und ergibt eine dynamische, eher positive Gangart.
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Die
ersten vier Zeichnungen werden nun aufgenommen und mit einer Frequenz
von drei Video- oder Filmbildern pro Zeichnung wiedergegeben.
Das ergibt pro Schritt eine Dauer von einer halben Sekunde.
Da die Strichzeichnungen keine Unterscheidung zwischen rechtem und
linkem Bein erkennen lassen, nehmen wir zwei Schritte wahr, obwohl
tatsächlich nur ein Schritt gezeichnet wurde.
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Die
erste Version der zyklischen Gehbewegung mit nach
unten weisender Dynamik der Gehbewegung.
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Obwohl
der Bewegungszyklus
nur leicht verändert wurde, nämlich ausschließlich
in der Position des vorderen Fußes in Phase Nr. 4, ergibt
sich ein deutlich anderer Eindruck als bei der ersten Version. |
Dies belegt, dass nicht nur für die Beschreibung von physikalischen
Materialeigenschaften, sondern auch zur emotionalen
Charakterisierung von Figuren nicht unbedingt die
Form wichtig ist, sondern vor allem ihr zeitliches Verhalten. Animation
ist Körpersprache. Diese Erkenntnis ist allerdings
nicht neu, die Bilder von durch den Raum hüpfenden und laufenden
Animatoren (gesehen u.a. in einem "Making of" von Jurassic
Park) sind eventuell bekannt. Dabei geht es darum, dass sich die
ZeichnerInnen in den emotionalen Gehalt von Bewegungsabläufen
hineinversetzen sollen, um diesen anschließend in zeichnerischer
Form besser wiedergeben zu können.
Schritt
4: Von der Strichzeichnung zur 2-D-Animation
Die bisher entwickelte Strichmännchen-Animation dient nun Bild
für Bild für die Erstellung der endgültigen Zeichnungen.
Rund um das Skelett der Strichmännchen soll der Körper
der Figur gebaut werden.
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Um
zwei Schritte darzustellen
werden acht Zeichnungen benötigt,
wobei Zeichnung Nr. 5 bis Nr. 8 Kopien der Zeichnungen Nr.
1 bis Nr. 4 mit ausgetauschten Füßen darstellen.
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Download
"Gehen schematisch, 10 Phasen
PDF
(37 kB)
Die abgebildeten Grafiken verstehen sich nicht als Endfassung, sondern
als schematische Darstellung zur Identifikation
von rechts und links und zur ungefähren Festlegung
der Bereiche, in denen die Gliedmaßen gezeichnet werden können.
Sie sollen auch als Hilfestellung bei der Entwicklung eigener Zeichnungen
dienen.
In den
folgenden Abschnitten Zeichentrick,
Legetrick, Modell-Animation
und Animation am PC
dient das hier entwickelte Schema einer gehenden Figur als Grundlage
zur Erstellung weiterer, in den unterschiedlichsten Techniken gefertigter
Animationen. Auf diese Weise werden die spezifischen Charakteristika
der unterschiedlichen künstlerischen Animationstechniken besonders
gut sichtbar. |
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