Wie bei jeder Filmproduktion empfiehlt es sich, die Herstellung
eines Animationsfilmes genau zu planen. Dies ist nicht nur aus inhaltlichen
Gründen wichtig, sondern gerade bei zeitaufwendigen Trickfilmtechniken
notwendig, um überflüssige Arbeit zu vermeiden.
Am besten wird die Idee
vorerst in Form eines schriftlichen Drehbuches
festgelegt. Beim Ausformulieren der Ideen ergeben sich einerseits
gerne neue Perspektiven, weiters ist die schriftliche Fixierung
eine gute Methode, die Ideen "auf den Punkt" zu bringen.
Danach
erfolgt mit der Erstellung eines Storyboards der schwierigste und
wichtigste Planungsschritt, bevor die eigentliche Produktion beginnen
kann. Diesem Prozess sollte genügend Zeit gegeben werden.
Üblicherweise sind wir es eher gewohnt, unsere Gedanken und
Ideen in sprachlicher Form wiederzugeben. Nun soll die literarische
Form des Drehbuches in eine völlig andere Sprache übersetzt
werden, in eine Sprache der Bilder.
In
der ersten Spalte des Storyboards
werden in kleinen Skizzen die wichtigsten Szenen grafisch
festgehalten. Die Positionen der handelnden Figuren sollen
räumlich festgelegt werden, ebenso kameraspezifische
Parameter wie Einstellungsgrößen, unter Umständen
auch Kamerabewegungen. (Siehe auch Storyboard)
In
der zweiten Spalte ist Platz für schriftliche Kommentare
zum Geschehen, so etwa für nähere Erklärungen des
Bildinhaltes oder die Beschreibung des Geschehens bis zur nächsten
Szene.
Die
dritte Spalte ist für die Beschreibung des akustischen Geschehens
reserviert. Dazu gehören die Dialoge der handelnden Figuren,
Musik und Geräusche. Die akustische Ebene sollte gleichberechtigt
mit der optischen Ebene behandelt werden. Wichtige Inhalte und
Stimmungen können durchaus auch auf der Tonebene transportiert
werden.
Download "Storyboard"
PDF
(11 kB)
Ein Beispiel aus der Schulpraxis
Das folgende Beispiel aus einem Trickfilmseminar an einer Wiener
Schule soll den Entstehungsprozess eines kurzen Trickfilmes vom
Drehbuch bis zum fertigen Film nachvollziehbar machen und dabei
insbesondere die Bedeutung des Storyboards beleuchten.
Der Workshop fand im April 2005 im Gymnasium Anton-Krieger-Gasse
in einer vierten Klasse statt.
Am Beginn des fünftägigen Projektes werden die SchülerInnen
aufgefordert, ihre Idee zu einem eigenen Film in einem kurzen
Drehbuch niederzuschreiben. Eine 14-jährige Schülerin
liefert den folgenden Text ab:
"Man
sieht die Sonne. Ein Vogel wirft einen Schatten. Es ist
ein Adler.
Auf dem Adler sitzt ein Junge, sein Name ist Leiron. Der
Adler geht in einen katastrophalen Sturzflug. Kurz vor dem
Boden purzelt der Junge runter und bleibt lachend im Gras
liegen. Der Adler verwandelt sich in einen Jungen mit nur
einem Arm. Der rechte Arm ist ein Flügel. Er ist ein
Todesengel.
'Gut gemacht du Bruchpilot', lacht Leiron. 'Du brauchts
grad reden, du Klammeraffe!' antwortet der Todesengel und
hilft ihm auf.
'Komm, wir müssen den Wasserfall noch erreichen, bevor
es dunkel wird!'
Wie auf ein Stichwort beginnt es dämmrig zu werden.
Sie gehen in einen Wald und erreichen bald einen Wasserfall.
Hinter dem Wasserfall ist eine verborgene Tür, durch
die sie gehen.
Es ist dunkel hinter dem Wasserfall, Leiron nimmt eine Kerze
auf und entzündet sie. Der Lichtschimmer greift auf
einen in der Luft schwebenden Kristall über und entzündet
sein inneres Feuer. Andere Kristalle beginnen zu leuchten
und beleuchten das, was in diesem Raum ist: das Nichts!"
Bei
der Besprechung des Drehbuchs stellen wir fest, dass der gesamte
Inhalt innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit zeichnerisch
nicht zu bewältigen sein wird. In einem nächsten Schritt
wird vorerst der Beginn der Geschichte in einem Storyboard festgelegt,
wobei unter anderem Überlegungen eine Rolle spielen, wie bestimmte
Vorgänge mit möglichst wenigen Zeichnungen darstellbar
sind. Die Fortsetzung der Geschichte soll nach der Fertigstellung
der ersten vier im Storyboard enthaltenen Einstellungen überlegt
werden.
Einstellung 1.1: Der Adler fliegt
mit Leiron am Rücken. Kommentar:
Auf die Darstellung von Sonne am Himmel und Schatten am Boden wurde
verzichtet, der Film beginnt unmittelbar mit der Aktion.
Die Flugbewegung des Adlers kann in fünf Zeichnungen dargestellt
werden, die in einem Pendel-Zyklus wiederholt werden.
Einstellung 1.2: Adler geht in Sturzflug
über und verschwindet aus dem Bild Kommentar:
Der Absturz wird direkt an den Bewegungszyklus angeschlossen, die
Kameraposition ist ähnlich. In Einstellung 1.1 wurde der Adler
von der Kamera in einer Parallelbewegung begleitet. Während
der Adler abstürzt, bleibt die Kamera stehen, damit dieser
das Bild verlassen kann. Das abschließende weiße Bild
wurde auch gewählt, um den Schnitt auf die nächste Szene
setzen zu können.
Einstellung 2: Nahaufnahme im Sturzflug Kommentar:
Die Kamera begleitet wieder, ähnlich wie in Szene 1, den abstürzenden
Vogel. Wieder bietet sich ein Zyklus von etwa fünf Zeichnungen
an, um die dramatische Situation in Großaufnahme mit wenig
Aufwand zu zeichnen.
Während sich Leiron starr am Körper des Adlers festkrallt,
sollen die starken Bewegungen der Haare und zusätzliche "speed
lines" die Bewegungsdynamik veranschaulichen.
Einstellung 3: Aufprall am Boden
Kommentar: Die Kameraposition ist nun wieder statisch, sie soll
die leere Bodenfläche im Visier haben, wo der Adler rasch nach
Beginn der Szene aufprallen wird.
Hier sind mehrere Pfadanimationen geplant. Der Adler kommt in einem
leichten Bogen zum Boden, nach dem Aufprall wird Leiron in einer
bogenförmigen Bewegung vom Rücken des Adlers geworfen
und bleibt nach diesem halben Salto am Rücken liegen. Anschließend
sollte in der gleichen Kameraeinstellung die Verwandlung des Adlers
gezeigt werden.
Einen
Tag vor Ende des Trickfilmseminars sind die ersten drei Szenen fertig
gezeichnet und Probeaufnahmen aufgenommen worden. Es ist klar, dass
die Geschichte - zumindest als Zeichentrickfilm innerhalb dieses
Seminares - keine Fortsetzung mehr erfahren kann, und so wird ein
passendes Ende neu erfunden.