"Ein
Film ist schwer zu erklären, da er leicht zu verstehen ist."
(Christian Metz)
Semiotik
Die Semiotik ist die Wissenschaft, die sich mit der allgemeinen
Lehre von Zeichen, Zeichenbeziehungen und Zeichenprozessen beschäftigt.
Die Bezeichnung leitet sich von dem griechischen Wort "sema"
ab und bedeutet so viel wie Zeichen. Man unterteilt die Semiotik
in drei Disziplinen: Semantik,
Syntaktik und Pragmatik.
Für Semiotiker besteht ein Zeichen aus zwei Teilen: dem Signifikant
(Bezeichnendes) und dem Signifikat (Bezeichnetes). Das Wort "W
O R T" zum Beispiel ist ein Signifikant und das, was es darstellt,
ist das Signifikat.
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Die
Semantik (Inhalt) untersucht,
inwieweit Zeichen einer bestimmten Bedeutung entsprechen,
und definiert auf möglichst logische Art und Weise Regeln,
um die Zeichen zu interpretieren. Dabei begegnen wir drei
Zeichenarten: Icon, Index, Symbol. |
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Die
Syntaktik behandelt die
formale Beziehung zwischen den Zeichen untereinander (nach
C.W. Morris). Es wird dabei versucht Gesetzmäßigkeiten
herauszufinden, um bestimmte Empfehlungen für die äußere
Form geben zu können: Grammatik (Sprache), Gestaltungsgesetze
(z.B. Goldener Schnitt). |
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Die
Pragmatik (Funktion)
ist die komplexeste Disziplin in der Semiotik und untersucht
im Wesentlichen, welche Beziehungen die Zeichen zu den Empfängern
unterhalten. (Botschaft, Nachricht) |
Im
weitesten Sinne gibt es in der Semiotik zwei divergierende Traditionen.
Begründet einerseits durch den Schweizer Sprachwissenschaftler
Ferdinand de Saussure (1857-1913)
und andererseits durch den amerikanischen Philosophen Charles
Sanders Peirce (sprich "purse") (1839-1914).
Während für den Linguisten Saussure die "Semiologie"
eine Wissenschaft darstellt, die die Rolle der Zeichen als Teil
des sozialen Lebens untersucht, stellte Charles Peirce die "formale
Doktrine der Zeichen" in den Vordergrund seiner Untersuchungen.
Beide Theoretiker haben in ihren Arbeiten den sozialen Gebrauch
der Zeichen nicht behandelt.
Semiologie
und Semiotik: Sind linguistische Aspekte
vorhanden, so spricht man von Semiologie, ansonsten sind beide Begriffe
synonym.
TRADITION
Charles
S. Peirce
William Morris (1901-1979)
Ivor A. Richards (1893-1979)
Charles K. Ogden (1889-1957)
Thomas Seboek (1920) |
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Ferdinand
de Saussure
Louis Hjelsmlev (1899-1966), Kopenhagner Schule
Algirdas Greimas (1931-93), Pariser Schule
Roland Barthes (1915-1980)
Christian Metz ( -1993) |
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Roman
Jakobson (1896-1982), Moskauer Schule und Prager Schule,
Kopenhagner Schule
Umberto Eco (1932) |
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Claude
Lévi-Strauss (1908-1990)
Jacques Lacan (1901-1981) |
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Roland
Barthes (früher Strukturalist, später Poststrukturalist)
Jacques Lacan (früher Strukturalist, später
Poststrukturalist)
Jacques Derrida (1930-2004)
Michel Foucault (1926-1984)
Julia Kristeva (1941) |
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Bauform
des Spielfilms - sémiologie du film
Seit den Anfängen der Filmgeschichte haben Theoretiker den
Film vorzugsweise mit der verbalen Sprache verglichen. Der bekannteste
Versuch, das Repertoire an Montageformen systematisch zu erfassen,
ist die Theorie der "Großen Syntagmatik" von Christian
Metz (1972). Darin unterscheidet Metz acht syntagmatische Typen:
Die kleinste Einheit beim Film stellt die Einstellung dar. Werden
zwei oder mehr Einstellungen gekoppelt, entstehen filmische "Syntagmen".
Metz legt aber Wert auf die Feststellung, dass sein Modell in den
darauf folgenden Jahren weiterentwickelt und teilweise revidiert
werden musste. Probleme
der Denotation im Spielfilm.
Die
syntagmatischen Typen im Film nach Metz
Download:
Diagramm der "Großen
Syntagmatik"
(26kB)
1) |
Die
autonome Einstellung (Was
ist eine Einstellung?) |
2) |
Das
parallele Syntagma (Parallelmontage) |
3) |
Das
Syntagma der zusammenfassenden Klammerung (Sequenz) |
4) |
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5) |
Das
alternierte Syntagma (z.B. "Rettung in letzter Minute"
aus den Film von D.W Griffith "Intolerance")
Intolerance
(Dieser Link ist aus rechtlichen
Gründen passwortgeschützt.) |
6) |
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7) |
Die
Sequenz durch Episoden (Schauplätze und Zeit wechseln,
Citizen Kane: Gemeinsame Mahlzeiten zwischen Kane und seiner
ersten Frau)
Citizen
Kane (Dieser Link ist aus
rechtlichen Gründen passwortgeschützt.) |
8) |
Die
gewöhnliche Sequenz (Weniger interessante Vorgänge
werden übersprungen, die ausgefallenen Stellen sind für
den Fortgang des Geschehens unwichtig.) |
Diese syntagmatischen Typen basieren auf
fünf Dichotomien
(dichotom [griechisch] = zweiteilig, gegabelt)
1) |
Autonom
im Gegensatz zu nicht autonom.
Eine Einstellung steht für sich alleine (ist autonom)
oder wird mit anderen Einstellungen (nicht autonom)
zu einer Bedeutungseinheit in einem Syntagma zusammengefasst. |
2) |
Chronologisch
im Gegensatz zu achronologisch.
Eine Handlung kann chronologisch als auch achronologisch
dargestellt werden. |
3) |
Narrativ
im Gegensatz zu deskriptiv.
Eine Geschichte wird erzählt oder ein Zustand beschrieben. |
4) |
Linear
oder alternierend.
Es gibt entweder einen einheitlichen Handlungszusammenhang
oder eine mehrsträngige Handlung. |
5) |
Kontinuierlich
im Gegensatz zu diskontinuierlich.
Es gibt einen raum-zeitlichen Zusammenhang (kontinuierlich)
oder keinen (diskontinuierlich). |
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Auf
Basis dieser Gegensatzpaare entwickelte Metz acht Typen filmischer
Syntagmen:
Die
autonome Einstellung (1) ist eine einzelne Einstellung,
die nicht mit anderen Einstellungen zu einer Sequenz zusammengefasst
wird. Hierbei unterscheidet Metz die Plansequenz - eine Szene, die
in einer Einstellung abgedreht wird - und die syntagmatische Interpolation,
eine isolierte Einstellung innerhalb eines Syntagmas.
Das parallele Syntagma
(2) ist eine spezielle Form der Parallelmontage,
bei der verschiedene Handlungsstränge, die keinen räumlich-zeitlichen
Bezug aufweisen alternierend montiert sind. Die Verknüpfung
hat vielmehr einen symbolischen Wert (z.B. die vier Handlungsstränge
in D.W. Griffith Intolerance,
1916).
Unter Syntagmen der zusammenfassenden Klammerung
(3) versteht Metz eine Serie kurzer Szenen, die bewusst
nicht in einem zeitlichen Zusammenhang stehen. Dieser Begriff ist
nicht unproblematisch, da Metz statt einer klaren Definition nur
einige Andeutungen gibt.
Deskriptive Syntagmen
(4) dienen in erster Linie der Beschreibung. James
Monaco weist in seinem Buch "Film verstehen" darauf hin,
dass fast jede Einführungssequenz ein gutes Beispiel für
deskriptive Syntagmen bietet.
Beim alternierenden Syntagma (5)
handelt es sich um die klassische Parallelmontage, in der zwei alternierende
Handlungsstränge zusammengeführt werden.
Von der Sequenz unterscheidet Metz die Szene
(6), die sich durch die Einheit von Handlungsort und
Handlungszeit kennzeichnet.
Bei der Sequenz durch Episoden (7)
werden mehrere kurze Szenen aneinander gefügt. Diese werden
durch optische Effekte getrennt und ergeben nur im Ensemble einen
Sinn. Metz verweist hier auf die Fühstückssequenz in Citizen
Kane (1941) von Orson Welles.
Die gewöhnliche Sequenz (8)
stellt eine in sich geschlossene Handlungseinheit ohne Einheit des
Ortes und der Zeit dar.
Diese Typologie enthält einige begriffliche Unklarheiten, die
zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Es ist beispielsweise
fraglich, ob es überhaupt "autonome" Einstellungen
gibt, denn eigentlich ist jede Film-Einstellung mit anderen Einstellungen
verknüpft. Trotz dieser Problematik ist das System von Metz
bis heute ein wichtiger Versuch, die wesentlichen Montage-Muster
zu klassifizieren.
Wichtig dabei ist, dass wir die Eigenschaften des Zeichensystems
verstehen. Das Modell von Metz zeigt, wie weit das auf die Sprache
fixierte semiologische Modell in Bezug auf den Film korrigiert werden
muss.
Gilles
Deleuze versucht eine Klassifikation (siehe Literatur). Dabei
steht folgende Frage im Vordergrund: Inwieweit kann der Film mit
einer eigenen Zeichensystematik klassifiziert werden, die der eindeutig
logisch/logizistisch dominierten Theorie von Charles S. Peirce zur
Seite gestellt werden kann?
Einen anderen theoretischen Bezugspunkt findet er in der Philosophie
Henri Bergsons, in dessen Reflexion über das Verhältnis
von Zeit und Bewegung. Deleuze geht davon aus, dass die Bilder des
Films nicht dadurch gekennzeichnet sind, dass sie etwas darstellen
oder auf etwas verweisen, sondern dadurch, dass Dinge und Bilder
untrennbar miteinander verbunden sind.
"Das Kino ist eine neue Praxis
der Bilder und Zeichen, und es ist Sache der Philosophie, zu dieser
Praxis die Theorie (im Sinne begrifflicher Praxis) zu liefern. Denn
keinerlei technische Bestimmung, sei sie angewandt (Psychoanalyse,
Linguistik) oder reflexiv, reicht aus, um die Begriffe des Kinos
hervorzubringen."
(Deleuze, Gilles: Das Bewegungs-Bild. Kino 1. Suhrkamp, 2. Auflage,
Frankfurt am Main 1998)
Deleuzes Bildtypen als Zeichenklassen seien hier nur kurz aufgelistet:
Wahrnehmungsbild, Affektbild, Triebbild, Aktionsbild, mentales Bild
und Zeitbilder, die aus Reflexions- und Relationsbildern bestehen.
Literatur:
Deleuze,
Gilles: |
Das
Bewegungs-Bild. Kino 1. Suhrkamp, 2. Auflage, Frankfurt am Main
1998 |
Deleuze,
Gilles: |
Das
Zeit-Bild. Kino 2. Suhrkamp, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1999 |
Links:
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Sympraxis
ist ein Ansatz der Erzähltheorie, der in den 1990er Jahren
von dem Romanisten Rolf Kloepfer entwickelt wurde. (Wikipedia)
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Film
und Kino. Die Maschinerie des Sehens. - Die Suche nach dem Ort
des Betrachters in der filmtheoretischen Diskussion
(Holger
Reichert, Mai 1993) |
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