Wie
bereits früher dargestellt, beschreibt das Shannon/Weaver-Modell
Kommunikation als Prozess, bestehend aus einem die Kommunikation
initiierenden Sender, einem Signal, das sich durch ein Medium bewegt,
einem Empfänger, der das Signal wahrnimmt und einer Störquelle,
die das Signal verändern kann.
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Das
Shannon/Weaver-Modell |
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Diesem
Modell zufolge kann man Text so betrachten, dass er vom Schreiber
erschaffen wird, sich dann durch Raum und Zeit bewegt, bis der Leser
auf ihn stößt. Das Medium sind Lichtwellen und das Signal
entsteht, wenn Licht von Papier und Tinte abprallt und auf das Auge
des Lesers trifft. Während der Übermittlung kann er in
seiner Verständlichkeit durch Störquellen beeinträchtig
werden - die Schrift kann beispielsweise verblassen, Seiten können
zerrissen sein oder verloren gehen.
Dies ist soweit zutreffend, aber es sagt wenig über die Relation
von Text und Bedeutung. Es ist jedoch möglich ein etwas modifiziertes
Modell einzuführen, das sich besser für die Auseinandersetzung
mit diesem Thema eignet.
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In
diesem Modell befinden sich der Leser, der Schreiber und
der Text in der Welt, die ihre Umwelt ist, und in der sie
interagieren. Der Leser und der Schreiber treten direkt
in Interaktion mit dem Text, der selbst zu einem Medium
der Kommunikation wird. Folglich werden Leser, Schreiber
und Text als miteinander verbundenes System
gesehen. |
Eine Möglichkeit dieses Modell zu interpretieren ist sich vorzustellen,
dass der Schreiber seinen Gedanken, die er kommunizieren will, durch
das Verfassen des Textes Ausdruck verleiht. Der Leser und der Schreiber
verfügen über denselben Sprachcode und wenn daher der
Leser liest, wird er zum Empfänger der Gedanken des Schreibers.
Diese Darstellung führt aber zu einer Anzahl von verwirrenden
Fragen - wie etwa:
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Was
ist, wenn der Schreiber bereits gestorben ist? Kann man von
einem Verstorbenen in irgendeiner Weise behaupten, dass er
mit Lebenden kommuniziert? |
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Es
gibt viele anonyme Texte - wer genau ist in diesen Fällen
der Schreiber? |
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Was
ist, wenn der Code dem Leser nur teilweise bekannt ist und
er/sie den Text missversteht? Ist Kommunikation sinnvoll,
wenn sie auf Irrtümern und Fehlern beruht? |
Versuche, diese oder ähnlich Fragen zu beantworten, haben vier
grundlegende Zugänge für die Erklärung des Zusammenhangs
zwischen Text und Bedeutung hervorgebracht. Es überrascht nicht,
dass sie in Konflikt zueinander stehen. Wenn nun jeder einzelne
dieser Ansätze genau untersucht wird, behalten Sie folgende
Fragestellung im Auge:
Was ist für die Bedeutung eines Texts
am stärksten verantwortlich:
1. |
die
Intention des Autors, |
2. |
die
Interpretation des Lesers, |
3. |
der
Text selbst, |
4. |
oder
die Gesellschaft, in der Leser und Schreiber leben? |
Die Intention des Autors
Der vielleicht geläufigste Zugang vertritt den Standpunkt,
dass der Verfasser eines Texts, der oft als Autor bezeichnet wird,
beim Schreiben die Absicht hatte, mit dem Leser auf sinnvolle Weise
zu kommunizieren. Viele von uns sind diesem Zugang in ihrer Schulzeit
im Literaturunterricht begegnet, wo beispielsweise gelehrt wurde,
dass Herman Melville seinen Roman "Moby Dick" (1850) mit
der Absicht schrieb, dass wir sein Werk lesen und seine Denkweise
zu dem Thema verstehen sollten.
 Unter
diesem Gesichtspunkt liegt der Fokus auf dem, was der Verfasser
sagen wollte, und die Aufgabe des Lesers ist es, die Gedanken des
Autors zu erkennen. Wenn wir überlegen, welche Bedeutung es
hat, dass der Wal in "Moby Dick" weiß ist, muss
die Frage, die wir uns stellen, folglich lauten: "Warum hat
Herman Melville als Protagonisten ausgerechnet einen weißen
Wal gewählt?"
Militärische Befehle sind ein Beispiel für eine Textsorte,
die von diesem Ansatz gut erfasst werden kann. Bei einer Militärorder
steht die Absicht des Verfassers an oberster Stelle. Es gibt keinen
Zweifel darüber, dass eine ganz bestimmte Bedeutung übermittelt
werden soll und wenn der Leser sich der Bedeutung des Textes nicht
ganz sicher ist, muss er diese Uneindeutigkeit durch den Versuch
zu verstehen, was der Verfasser mitteilen wollte, auflösen.
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