 Während
sich die Beziehungspartner immer besser kennen lernen, vertieft
sich in der Regel ihre Beziehung. Ein Teilgebiet der Kommunikationswissenschaft
beschäftigt sich damit, wie es dazu kommt. Man spricht in diesem
Zusammenhang von "Self-disclosure", "Selbstenthüllung"
oder Selbstoffenbarung. Beschrieben wird dabei, auf welche Art und
Weise Menschen einander Informationen über sich selbst zukommen
lassen.
Ein einfaches, klares Modell dazu wurde 1969 von Joseph Luft und
Harry Ingham entwickelt. Das Johari-Fenster,
wie es genannt wird, ist eine grafische Darstellung der Kommunikationssituation
in einer Gruppe, es verdeutlicht, dass "Selbst"- und "Fremdwahrnehmung"
voneinander abweichen und beschreibt das Verhalten einer Person
unter dem Kriterium, was davon ihr selbst und anderen bekannt ist.
Der Bereich der "öffentlichen Person" ist der Bereich
des freien Handelns und umfasst Aspekte und Verhaltensweisen von
mir, die mir und anderen bekannt sind.
Der Bereich der "privaten Person", umfasst Denk- und Handlungsweisen
von mir, die ich anderen gegenüber bewusst verberge und die
daher nur mir bekannt, anderen aber unbekannt sind.
Der Bereich des "Blinden Flecks" umfasst Aspekte und Verhaltensweisen
von mir, die zwar für andere sichtbar und erkennbar, mir selbst
hingegen unbewusst sind.
Der Bereich des Unbekannten (das Unbewusste) erfasst Vorgänge,
die weder mir noch anderen bewusst und unmittelbar zugänglich
sind.
Betrachten Sie ein paar Beispiele:
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Am
späten Nachmittag eines Tages, an dem ich kein Mittagessen
hatte, bin ich bei einem Hochzeitsempfang. Der Gastgeber fragt,
ob ich hungrig bin. Ich bin es, aber aus persönlichen
Gründen, vielleicht aus Höflichkeit weil sonst noch
niemand isst, sage ich, dass ich nicht hungrig bin. Das Wissen
um meinen Hunger ist im verborgenen,
privaten Bereich. Es ist mir, aber niemandem sonst
bekannt. |
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Ali
und die meisten seiner Freunde wissen, dass er auf Katzen
allergisch ist. Diese Information ist im freien,
öffentlichen Bereich. |
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Margie,
die oft mir ihren Freunden Poker spielt, hat die Angewohnheit,
dass sie immer dann, wenn sie blufft, zu grinsen beginnt.
Sie ist sich dessen nicht bewusst, aber einige ihrer Freunde
wissen es. Die Information liegt in Margies blindem
Fleck. |
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Andrea
weiß noch nicht, dass sie schwanger ist. Auch sonst
weiß es niemand. Es handelt sich um etwas, das im unbekannten
Bereich liegt. |
Zusammen genommen bieten uns die Sprechakttheorie,
das Miller-Steinberg-Modell
und das Johari-Fenster interessante Einblicke in das Wesen menschlicher
Kommunikation in ihrer Interaktivität und Intensität.
Denken Sie zum Beispiel an eine Situation, in der der Sprecher einen
perlokutionären Sprechakt vollzieht (im Versuch, das Verhalten
des Empfängers zu beeinflussen). Dabei könnte er sich
bei der Wahl seiner Botschaft auf Vorannahmen stützen, die
nicht zutreffen, weil sie Teil des "privaten" Bereichs
sind, den der Empfänger vor anderen verbirgt. In diesem Fall
wird sich der Empfänger möglicherweise nicht sicher sein,
wie er die Nachricht interpretieren soll und in einer für den
Sprecher unerwarteten Weise reagieren.
Andererseits besitzt der Empfänger möglicherweise Informationen
aus dem "Blinden Fleck" des Senders und antwortet in einer
Weise, die dem Betroffenen willkürlich oder mysteriös
erscheinen mag, tatsächlich sich aber auf etwas in seinem Verhalten
bezieht, das ihm nicht bewusst ist. Jede dieser Situationen kann
sich ganz unterschiedlich weiterentwickeln, je nachdem, welche Stufe
der Kommunikationsregeln und welche Stufe des Wissens die Kommunikationspartner
teilen.
In einem der vorangegangenen Beispiele haben wir beispielsweise
von Margie gesprochen, die beim Pokerspiel mit ihren Freunden immer
zu grinsen beginnt, wenn sie blufft. Diese Information befindet
sich in Margies "Blindem Fleck",
ist ihr also nicht bewusst, sehr wohl aber einigen ihrer Freunde.
Angenommen Margie spielt trotz relativ schlechter Karten mit ziemlich
hohem Einsatz, in der Hoffnung, die anderen "auszutricksen"
und durch ihren "Bluff" zum Passen zu bewegen. Durch ihren
perlokutionären Sprechakt versucht sie die anderen in ihrem
Verhalten zu beeinflussen. Doch einige der Spieler entnehmen ihrem
Grinsen, dass sie blufft und handeln nicht so, wie sie es gerne
gehabt hätte. Für Margie ist diese Reaktion anfangs verwirrend,
doch mit der Zeit, wenn sich die Situation wiederholt, wird sie
vielleicht das Muster durchschauen und letztendlich daraus schließen,
dass sie sich verrät. An diesem Punkt wäre gut denkbar,
dass Margie ihre "Selbstenthüllung" beendet und ihre
neu gewonnene Selbsterkenntnis nützt, einen Bluff vorzutäuschen,
wenn sie eigentlich ein gutes Blatt in der Hand hält. Gelingt
ihr das, wird sie freilich damit ihr neues Wissen ihren Freunden
(obgleich indirekt) enthüllt haben.
Selbstoffenbarung (Self-disclosure) liefert den Partnern in einer
Beziehung Informationen über den anderen und bewirkt folglich,
dass beide über den Kontext ihrer Beziehung besser Bescheid
wissen. Selbstenthüllung kann daher zur Entwicklung von persönlichen
Regeln und zur vertraulicheren und eng fokussierten Beziehungen
führen.
Der nächste Abschnitt zeigt, wie ein Missverständnis entstehen
kann, selbst wenn beide Partner mit ihrem Wissen über den anderen
zufrieden sind. |
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