Ein
Publikum ist eine Gruppe von Leuten, die eine bestimmte Massenkommunikationsaussage
erhalten oder erhalten haben. In manchen Fällen ist die Aufmerksamkeit
aller Adressaten zur selben Zeit auf das Medium gerichtet - wie
dies beispielsweise bei den Fernsehern war, die unmittelbar nach
der Explosion der Challenger-Raumfähre ihre Geräte einschalteten.
In anderen Fällen aber verteilt sich die Aufmerksamkeit des
Publikums auf einen Zeitraum. - Die Leserschaft eines bestimmten
Magazins etwa kann sich aus Personen zusammensetzen, die ihr Exemplar
der Zeitschrift zu verschiedenen Zeitpunkten über eine einmonatige
oder noch längere Zeitspanne hinweg lesen.
Und in manchen Fällen ist die Aufmerksamkeit des Publikum über
einen sehr langen Zeitraum verstreut. Das Publikum von Shakespeares
Dramen etwa ist sehr groß und erstreckt sich über Jahrhunderte.
In den frühen Anfängen der Forschung zur Massenkommunikation
hielt man das Publikum für passiv und naiv. Man nahm an, dass,
was immer in den Zeitungen zu lesen oder im Radio zu hören
war, vom Publikum unbesehen geglaubt würde.
Mit den fortschreitenden Untersuchungen zur Beziehung zwischen dem
Publikum und den Massenmedien hat sich die Sichtweise der Wissenschaftler
verändert. Heute hält man das Publikum für aktiv
und anspruchsvoll. Das heißt, das Publikum wählt das
Medium, dem es seine Aufmerksamkeit schenkt und nimmt kritisch die
vom Medium übermittelten Aussagen auf.
Die magische Kugel
Massenmedien eine sehr starke Wirkung auf ihr Publikum erzielten.
Das Shannon/Weaver-Modell illustriert, wie in diesen Theorien die
Medienaussage als Art "magische Kugel" betrachtet wurde.
Ausgeschickt von einem der Massenmedien, "traf" die magische
Kugel die "Köpfe" des Publikums und beeinflusste
das Denken der Menschen.
 Einer
der ersten Hinweise, dass die Theorie von der magischen Kugel zu
einfach war, kam im Zuge der Studien rund um die berühmt gewordene
Rundfunkübertragung vom "Krieg der Welten" von Orson
Welles aus dem Jahr 1938 zu Tage. Der Theorie zufolge hätte
jeder Zuhörer, der die Sendung verfolgte, glauben müssen,
dass Eindringlinge vom Mars im südlichen New Jersey gelandet
seien. Einige glaubten dies tatsächlich, die meisten jedoch
nicht, und wie sie dazu kamen, den Aussagen im Radio keinen Glauben
zu schenken, ist sehr interessant.
Einige der Zuhörer wechselten den Sender um herauszufinden,
ob die Nachrichten auch woanders gebracht wurden; einige griffen
zum Telefon und riefen Freunde an, um deren Meinung zu hören
und einige verfolgten die Sendung mit genügend kritischer Aufmerksamkeit
um zu erkennen, dass es sich um eine Fiktion handelte.
Aufgrund dieser Reaktionen war es klar, dass die meisten Leute die
Medienaussagen nicht für bare Münze nahmen. Vielmehr prüften
sie sie und gaben ihnen Bedeutung, indem sie sie mit früheren
Erfahrungen verglichen und häufig dadurch, dass sie mit ihrer
Familie oder mit Freunden darüber sprachen.
Jeremy Campbell fasst dieses Ergebnis zusammen:
Die Kugeltheorie geht davon aus, dass das
Publikum passiv ist, nur darauf wartet, dass das Medium es mit eine
Propagandanachricht beschießt und, sobald es getroffen wird
und solange die Kugel nur genügend stark ist, in einen Zustand
der gefügigen Unterwerfung übergeht. Daher haben sich
die Wissenschaftler bei ihren Untersuchungen nicht um das Publikum
gekümmert. Stattdessen analysierten sie den Inhalt von Aussagen,
in der Annahme, dass der Inhalt das Geheimnis einer erfolgreichen
"Propaganda Kugel" war. Sie sollten eine Überraschung
erleben. Das Publikum weigerte sich hartnäckig, sich von den
Aussagen verzaubern zu lassen. Manchmal reagierten sie in einer
Weise, die den Intentionen des Propagierenden entgegen gesetzt war,
oder sie genossen das Bombardement ohne sich auch nur im geringsten
beeinflussen zu lassen. (Campbell,
Jeremy, S. 197)
Nachdem einmal die Theorie von der "Magischen Kugel" widerlegt
war, unterbreiteten die Wissenschaftler alternative Theorien und
entwarfen Experimente, um sie zu überprüfen. Dies führte
zur Entwicklung von neuen Untersuchungsmethoden und einer beträchtlichen
Erweiterung der Forschung auf dem Gebiet der Massenkommunikation.
Interpersonale Diffusion
Untersuchungen, die auf die Aussendung des Hörspiels "Krieg
der Welten" folgten, legten ihr Augenmerk auf die Tatsache,
dass etliche der Hörer auch direkt, face-to-face mit Familienmitgliedern,
Freunden oder Arbeitskollegen kommunizierten.
 Theoretiker
stellten die Hypothese auf, dass einzelne Personen des Publikums,
so genannte "Opinionleader" oder "Meinungsbildner"
einflussreicher sind als andere Personen. Theoretisch bilden sich
die Opinionleader ihre Meinung davon, was eine Medienaussage bedeutet
und teilen dies ihren Freunden und Nachbarn mit.
Studien zur Überprüfung dieser Hypothese ergaben, dass
bestimmte Personen des Publikums tatsächlich Opinionleader
sind. Doch je nach Thema handelte es sich um unterschiedliche Personen.
Daher war (und ist es nach wie vor) schwierig, eine einfache Erklärung
für die Verbreitung oder Diffusion
des Inhalts einer Medienaussage innerhalb einer Gesellschaft zu
finden.
Eine weitere Erkenntnis, die zur Schwierigkeit Diffusion zu erklären
beiträgt, kommt aus den Untersuchungen zum Phänomen der
Gerüchte. Wissenschaftler fanden heraus, dass die Genauigkeit
einer Aussage, die mündlich von einem zum anderen kursiert,
sehr rasch abnimmt. Folglich ist es schwer vorstellbar, wie via
Massenmedien an Opinionleader übermittelte Aussagen in irgendeiner
Weise originalgetreu und genau weitergegeben werden sollten.
Diese Studien führten zur Schlussfolgerung, dass direkte Face-to-Face-Kommunikation
für den Meinungsbildungsprozess wichtiger ist als der Inhalt
von Massenmedienaussagen.
"Uses" und "Gratifications"
Ein derzeit aktueller Zugang in der Medienwissenschaft führt
Folgendes ins Treffen: Weil die Produkte der Massenmedien in hohem
Maße in der amerikanischen Gesellschaft verfügbar sind,
neigen seine Adressaten dazu, in derselben Weise von ihnen Gebrauch
zu machen wie von allen anderen Produkten oder Serviceleistungen.
 Diese
Zugangsweise kennzeichnet eine wichtige Veränderung in der
Haltung der Medienforscher gegenüber dem Publikum. Vormals
sahen sie das Publikum als passiv an - bestehend aus Leuten,
die einfach alles akzeptierten, was man ihnen vorsetzte. In diesen
Modellen war das Publikum gleichsam Gefangener der Massenmedien.
Unter dem Ansatz "Uses" und "Gratifications",
der die Art der Nutzung/Verwendung ("uses") der Medien
und den daraus gewonnenen Nutzen/Genuss ("gratifications")
berücksichtigt, ist das Publikum aktiv. Die Einzelpersonen
des Publikums werden als Konsumenten eines Medienprodukts gesehen
und so wie Konsumenten anderer Produkte und Serviceangebote kaufen
sie einmal da und einmal dort, ziehen Alternativen in Erwägung
und treffen ihre Wahl.
Früher nahm man an, der Inhalt der Medien müsste irgendeine
Art von Wirkung auf das Publikum haben, und die Wissenschaftler
verbrachten ihre Zeit mit dem Versuch, diese Effekte zu lokalisieren
und zu messen. Doch nur wenige greifbare Effekte konnten jemals
gefunden werden, vielleicht, weil das Modell für das Publikum
zu vereinfachend war.
Der Ansatz "Uses" und "Gratifications" scheint
eine weiter reichende Sicht vom Publikum zu bieten. Statt zu fragen
"Wie beeinflussen uns die Medien?" fragt der "Uses
und Gratification"-Forscher "Welche Rolle spielen die
Medien in unserem Leben?".
Hier einige Beispiele für die Nutzung der Medien:
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um
"Neuigkeiten" zu erfahren |
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um
sich Informationen über erhältliche Produkte und
Serviceangebote zu beschaffen |
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um
den Tag zu beginnen und zu beenden |
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um
allgemeine Gesprächsthemen für den Freundeskreis
zu haben |
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um
nicht einsam zu sein, als Ersatz für Freunde |
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um
sich irgendwie verbunden mit anderen Menschen zu fühlen
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um
den Problemen und Sorgen des Tages zu entfliehen |
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um
jemanden zu hören, der die eigenen Werte und Ansichten
vertritt |
So betrachtet, werden die Medien nur zu einem unter vielen kulturellen
Einflüssen unserer Umwelt, und bei weitem nicht zum wichtigsten.
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