So wie "Konnotation" die persönliche Bedeutung bezeichnet,
die jemand aus der Begegnung mit einem Zeichen gewinnt, bezeichnet
"Mythos" die unbewusste, kollektive Bedeutung, die eine
Gesellschaft von einem semiotischen Prozess ableitet. Diese Definition
von Mythos wird dem Forscher Roland Barthes zugeschrieben und ist
weitreichender als die landläufige Bedeutung von Mythos als
eine weithin bekannte Erzählung.
Das Semiotische Dreieck zeigt
die Interaktion zwischen Zeichen, Konzept und Objekt beim einzelnen
Individuum.
Bei Barthes' Zugang ist der Mythos eine Kette von semiotischen Ereignissen,
denen die Mitglieder einer Gesellschaft begegnen und die eine Bedeutung
tragen, die zwar geteilt wird, aber unterhalb der Ebene des bewussten
Verstehens angesiedelt ist. Somit wird der semiotische Prozess selbst
zu einem Zeichen "zweiter Ordnung", der simultan in der
ganzen Gruppe wirkt.
Mythos als semiotischer Prozess
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Als
Beispiel nehmen Sie einmal die folgenden Zeichen, auf die
Sie in den USA auf Ihrer Fahrt zum Arbeitsplatz stoßen
könnten: ein US Interstate Highway-Zeichen, das Exxon-Logo
seitlich an einem Lastwagen, das Firmenschild über
einer Domino Pizzeria und das Zeichen für einen US-Briefkasten. |
In den USA hat jedes dieser Zeichen eine gesellschaftlich übliche,
denotative Bedeutung. Barthes' Theorie vom semiotischen Mythos legt
nahe, dass der Prozess, durch den diese Bedeutungen eingeführt
wurden, für sich selbst ein Zeichen ist, dessen Bedeutung von
allen Mitgliedern der Gesellschaft geteilt wird und der wahrscheinlich
unbewusst abläuft.
In diesem Fall werden die Farben Rot, Weiß und Blau, die in
jedem dieser Zeichen vorkommen, kulturell mit den "Vereinigten
Staaten" konnotiert. Es kann sein, dass diese Konnotation beim
Anblick des Briefkastens, der Pizzeria usw. dem Einzelnen gar nicht
bewusst wird, aber über die Bandbreite der Gesellschaft hinweg
entstehen gemeinsam getragene Bedeutungen, unter denen auch solche
wie Individualität, Freiheit, Unterdrückung, Konsumentenschutz
o. Ä. enthalten sein können.
Die Uneindeutigkeit eines Mythos-Zeichens rührt daher, dass
die Konstruktion desselben andauert. Gesellschaften handeln ihre
Mythen immer wieder neu aus. Das kann sogar dazu führen, dass
verschiedene Subgruppen derselben Gesellschaft sehr unterschiedliche
Bedeutungen von ähnlichen semiotischen Prozessen ableiten. |
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