Ein interessanter semiotischer Prozess vollzieht sich, wenn zwei
oder mehr Zeichen zur selben Zeit wahrgenommen werden und in Konflikt
miteinander geraten. Denken Sie zum Beispiel an den Satz: "Das
Schularbeitsheft fest mit der Hand umklammert, flog sie durch das
Klassenzimmer, um ihren Freundinnen von ihrem 'Sehr gut' in Mathematik
zu berichten."
Aber flog sie wirklich?
Unsere Erfahrung sagt, dass Menschen nicht fliegen, dennoch würden
die meisten Leser diesen Satz als einen Satz akzeptieren, der durchaus
Sinn macht. Wie kommt dies? In der Semiotik spricht man von einer
Metapher, die dann auftritt,
wenn Zeichen mit widersprüchlichen Konzepten einander so überschneiden,
dass der Leser sie beide gleichzeitig als richtig und wahr anerkennt.
In unserem Beispiel, erweckt die Symbolkette, die den Satz ausmacht,
die Vorstellung (das Konzept) von einer Frau, die Vorstellung von
fliegen und die Vorstellung von Raum.
Was aber ist die Vorstellung, die daraus zuletzt resultiert? Da
der Leser wahrscheinlich keinerlei vorangegangene Erfahrung mit
fliegenden Frauen (zumindest nicht in Innenräumen) gehabt hat,
wird die Vorstellung, die in seinem/ihren Kopf entsteht, eine imaginäre
sein. Mit anderen Worten, das Zeichen wird als dahingehend interpretiert,
dass es sich auf ein unwirkliches Objekt bezieht. Folglich ist es
semiotisch gesehen die Metapher, die den Menschen die Möglichkeit
zur Imagination eröffnet
Metaphern funktionieren paradigmatisch. Das heißt eine Metapher
besteht aus einer Anzahl von Zeichen, die auf Objekte verweisen,
die üblicherweise nicht miteinander assoziiert werden. Jemand,
der auf eine Metapher stößt, muss ein Syntagma erschaffen,
das zu Konzepten bzw. Vorstellungen im Kopf führt, die kompatibel
sind mit früher gemachten Erfahrungen. Es ist dieser nicht
näher bestimmbare, kreative Akt, der der Metapher ihre imaginative
Kraft verleiht. |
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