Damit
wir mit anderen Menschen irgendwie auf systematische und angenehme
Art umgehen können, müssen sie ein voraussagbares Verhalten
an den Tag legen. Im Gegenzug müssen wir uns voraussagbar verhalten,
wenn wir uns selbst verstehen wollen, geschweige denn, für
sie einschätzbar zu sein. Ein gewisses Maß an Voraussagbarkeit
bildet das sine qua non von geistiger Gesundheit und Menschlichkeit.
(Birdwhistell,
Ray)
Wissenschaftler,
die sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen befassen, haben herausgefunden,
dass bestimmte Verhaltensmuster immer wieder auftreten, die man
als Regeln bezeichnen kann.
Menschen werden von vielen Regeln eingeschränkt, einige davon
werden uns nie bewusst. Es ist uns beispielsweise unmöglich
in die Höhe zu springen und schwebend in der Luft zu verweilen.
Dies ist eine Einschränkung, die allen auferlegt ist, die auf
großen Materiebrocken wie Planeten leben. - Und wir sind so
daran gewöhnt, dass wir selten daran denken. Ebenso lernen
die meisten von uns bereits in frühem Alter, dass wir Wasser
nicht einatmen können und richten uns danach ebenso wie nach
der "Schwerkraft"-Regel, ohne uns weiter Gedanken darüber
zu machen.
Die Einschränkungen, die uns durch gesellschaftliche Regeln
auferlegt werden, können ebenso unsichtbar sein, ein signifikanter
Unterschied zwischen natur- und gesellschaftlich bedingten Regeln
ist aber, dass letztere veränderbar sind. Ein Beispiel: Wenn
ein Mann und eine Frau gleichzeitig zu einer Tür kamen, war
in Amerika viele Jahrzehnte hindurch die Frau gezwungen zuzuwarten,
dass der Mann eine Handlung setzte, entweder indem er durch die
Tür ging oder ihr den Vortritt ließ. Dieses Verhaltensmuster
hat sich verändert, und heute trifft die Regel "Frauen
müssen warten" nicht mehr zu.
Der Ansatz, zwischenmenschliche Beziehungen über "Regeln"
zu erforschen, vertritt die Auffassung, dass die durch Kommunikation
hergestellten zwischenmenschlichen Beziehungen sich innerhalb der
Grenzen gesellschaftlicher Regeln entwickeln. Diese von Gerald Miller
und Mark Steinberg aufgestellte Theorie, die als nächstes vorgestellt
wird, konzentriert sich auf den Entwicklungsaspekt der gesellschaftlichen
Regeln. Es wird postuliert, dass Menschen sich innerhalb der Grenzen
von drei verschiedenen Regeln bewegen, während sie die Informationen
über die, denen sie begegnen, zunehmend präzisieren.
Diese Regeln schränken Verhalten unter einem immer enger werdenden
Fokus ein. Kulturelle Regeln werden von allen befolgt, soziologische
Regeln von den Mitgliedern einer bestimmten Subgruppe und psychologische
Regeln von zwei Einzelpersonen. Miller und Steinberg behaupten,
dass Beziehungen innerhalb einer Anzahl von zunehmend stärker
einschränkenden Regeln entstehen. Das heißt zwei völlig
Fremde werden sich wahrscheinlich in ihrer Interaktion an kulturelle
Regeln halten. Die Mitglieder einer Gruppe wechseln zu soziologischen
Regeln. Und Leute, die einander gut kennen, werden psychologische
Regeln entwickeln und sich nach diesen richten.
Das
Miller-Steinberg-Modell: Regeln |
Kulturelle
Regeln
sind Regeln mit der größten Bandbreite - sie
schränken jeden innerhalb der gesamten Gesellschaft
ein. In der amerikanischen Gesellschaft z.B. besteht die
kulturelle Regel, dass man in der Öffentlichkeit immer
bekleidet sein sollte. |
Soziologische
Regeln betreffen Subgruppen, denen Personen innerhalb
einer größeren Gesellschaft angehören. Männliche
Büroangestellte etwa tragen einen Anzug bei der Arbeit,
während Fluglinienpersonal in Uniform gekleidet ist.
Nicht alle Subgruppen folgen denselben Regeln. An manchen
Colleges gibt es keine Bekleidungsvorschriften für
die Studierenden, an anderen hingegen wird Anzug getragen,
an manchen eine Uniform. |
Psychologische
Regeln sind Regeln, die zwei Individuen während
sie einander kennen lernen selbst kreieren. Nehmen wir als
Beispiel ein Ehepaar, das zum Abendessen ausgeht. - Der
Ehemann trägt vielleicht ein Lieblingshemd, das ihm
seine Frau geschenkt hat, um zu signalisieren, dass er sich
einen besonders romantischen Abend erhofft. Oder zwei eng
befreundete Personen, die als Ausdruck ihrer gegenseitigen
Zuneigung Schmuckstücke tragen, die sie einander geschenkt
haben. |
Je enger die Regeln gefasst sind, desto eher ist es möglich,
das Verhalten des jeweils anderen vorauszusagen. Sprechen wir von
Information, bedeutet dies: je enger die Regeln, desto mehr Ungewissheit
wird beseitigt. Folglich haben psychologische Regeln einen höheren
Informationsgehalt als soziologische Regeln, die wiederum mehr Information
liefern als kulturelle Regeln.
In der gleichen Weise, wie Beziehungen in ihrer Entwicklung verschiedene
Stufen von Regeln durchlaufen, ändert sich bei den Beziehungspartnern
auch das Wissen um den anderen. Je besser die Beziehungspartner
das Verhalten des anderen voraussagen können, desto stärker
haben sie das Gefühl, dass sie mehr und mehr vom anderen "wissen".
Miller und Steinberg berufen sich auf drei Arten des "Wissens",
um die Entwicklung von Beziehungen zu beschreiben:
Das
Miller-Steinberg-Modell: Formen des Wissens |
Beschreibendes
Wissen
erlaut uns, jemanden aufgrund seiner/ihrer einzigartigen
Merkmale zu identifizieren. Mein Freund Mark zum Beispiel
ist klein, hat dunkles Haar, lange Arme usw. Er hat eine
ganz bestimmte Art zu stehen und zu gehen, und wenn ich
ihn sehe, egal wie weit er entfernt ist, weiß
ich, dass er es ist. |
Voraussagendes
Wissen erlaubt uns, das Verhalten eines Menschen
zu antizipieren. Wenn ich beispielsweise beim Tennis den
Ball zur Rückhand meiner Freundin Carol spiele, weiß
ich, dass sie versuchen wird, ihn geradewegs in die hintere
Ecke des Spielfelds zu retournieren. |
Erklärendes
Wissen erlaubt uns Einblick zu nehmen in die
Beweggründe anderer für ihre Handlungen. Ich gehöre
beispielsweise zu den wenigen Menschen, die wissen,
dass Brenda James-Bond-Filme meidet, weil sie bei ihrer
ersten Verabredung mit ihrem früheren Ehemann, den
sie schrecklich vermisst, zu Diamonds Are Forever
ging. |
So wie die Stufen der Regeln werden auch die Stufen des Wissens
zunehmend persönlich. Das Miller-Steinberg-Modell sagt, dass
bei der Entwicklung einer Beziehung die Beziehungspartner sich allmählich
explanatorischem Wissen und psychologischen Regeln nähern während
sie mehr und mehr Information über den anderen gewinnen. Mit
anderen Worten, wird eine Beziehung stärker, wird sie zunehmend
persönlich.
Das Miller-Steinberg-Modell wird als strukturelles
Modell bezeichnet, weil es voraussagt, dass alle
Beziehungsmuster im Laufe ihrer Entwicklung eine bestimmte Form
oder Struktur annehmen. Beachten Sie jedoch, dass das Modell zwar
voraussagt, dass stärker werdende Beziehungen persönlicher
werden, wenig aber darüber aussagt, wie es dazu kommt, dass
persönliche Informationen geteilt werden. Der nächst Abschnitt
stellt ein Modell vor, das genau dieses Phänomen untersucht.
|
|