Wie
wissen wir, was der Text bedeutet?
Auf
den ersten Blick, aber nur auf den ersten, erscheinen visuelle Texte
transparent - sie sind so durchsichtig, dass sie keine Worte brauchen.
In Wirklichkeit jedoch haben alle Medienformen spezielle Regeln
der Bedeutungsverschlüsselung
und -entschlüsselung und damit
der Bedeutungsvermittlung. Wir wollen sie hier Konventionen nennen,
und die Kinder lernen viele dieser Konventionen
schon lange bevor sie in die Schule kommen.
So
bewies ein Fünfjähriger sein Verständnis über Schnitte
zwischen gleichzeitigen Ereignissen mit den Worten: "Sie kämpfen
auf der Erde zur selben Zeit wie im Weltraum." Gefragt, wie er zu
diesem Schluss komme, antwortete er: "Mitten im Kampf hat es ein
anderes Bild gegeben." So hatte er offenbar Einsicht in die Konvention
gewonnen, dass Schnitte zwischen Handlungsszenen bedeuten können,
dass Dinge gleichzeitig passieren (Parallelmontage).
Mit zunehmendem Alter und zunehmenden Kenntnissen über Mediensprachen
wird er lernen, dass diese Konventionen nicht für alle Medien oder
Medienformen gelten. In Fernsehnachrichtensendungen oder Dokumentationen
können Schnitte etwas ganz anderes bedeuten. Ein Roman hingegen
signalisiert Gleichzeitigkeit mit Worten wie "mittlerweile" oder
Gliedsätzen wie "während dies geschah".
Der
Begriff Konvention ist breit
gefasst und bedeutet eine festgelegte und allgemein anerkannte Art
und Weise, wie ein Medientext bestimmte Bedeutungen oder Ideen vermitteln,
symbolisieren und zusammenfassen kann. Die Nahaufnahme in Comics,
Filmen und Fernsehspielen zwecks dramatischer Emphase ist eine Konvention
(Einstellungsgrößen)
genauso wie Fettgedrucktes oder Kursivschrift in Druckerzeugnissen.
In Hörmedien sind wiederum Wind, Vogelgezwitscher, Kirchenglocken,
knarrende Türen häufig gebrauchte Klangeffekte.
Wenn
Konventionen zu klar voraussagbaren Gebrauchsmustern
werden - wie z. B. bei den Schlagzeilen im Fernsehen oder in den
Comics für Kinder - dann bezeichnen wir das Zusammengefasste als
Code. Wir entschlüsseln sie
mühelos, aber genau wie beim Lesen von geschriebenen oder gedruckten
Texten hängt die Bedeutung, die wir den Codes geben, weitestgehend
von dem Wissen ab, das wir dem Text entgegenbringen - von unserem
Wissen, von unseren Erfahrungen. Wenn ein Text auf unvorhergesehene
Weise funktioniert oder mit Konventionen bricht, können wir trotzdem
unser Vorwissen zu Hilfe rufen und einen Sinn daraus machen.
Ein
zu wörtlicher Vergleich zwischen gesprochener und geschriebener
Sprache und den "Sprachen" der verschiedenen Medien kann unproduktiv
sein. Aber die Einsicht, dass jedes Medium in einer gewissen Weise
seine eigene Sprache hat, seine eigene Art, Dinge auszudrücken,
ist ein wichtiges, sogar zentrales Prinzip der Medienerziehung.
Wie wir schon im Zusammenhang mit den Medienherstellern und -anbietern
gehört haben: Alles in einem Medientext ist zweckorientiert und
trägt zur Bedeutung des Textes bei, so wie letzten Endes auch Wörter
nicht zufällig auf ein Blatt Papier gelangen.
Genauso
wie wir beim Lesen nicht einfach ein Wort nach dem anderen isoliert
lesen, sondern ununterbrochen Vermutungen darüber anstellen, wie
der Satz, Absatz, das Kapitel und das ganze Buch weitergehen wird,
so lesen wir Medientexte nicht Bild für Bild, Ton für Ton, sondern
passen sie in unsere sich ständig erweiternden Erwartungen in Bezug
auf die spezielle Art von Text ein. Wenn wir Mediensprachen untersuchen,
so müssen wir auch die Struktur der Medientexte anschauen:
Warum
folgt diese Einstellung (Regie)
jener?
Wird dieser Handlungsträger ein Guter oder ein Bösewicht sein?
Wird es ein trauriges oder glückliches Ende geben?
Warum wird eine lustige Meldung am Ende der Nachrichtensendung
gebracht?
Warum ist der Sport auf der (den) letzten Seite(n) platziert?
Warum wurde gezeigt, wie die handelnden Personen abfuhren und
ankamen, aber nicht die Reise dazwischen?
Warum hat man diesen Teil in der Rückblende und nicht in der Reihenfolge
der tatsächlichen Ereignisse gezeigt?
Eine
Diskussion darüber, wie Medientexte strukturiert sind (sei es die
erzählende Struktur einer Geschichte, die Reihenfolge der Meldungen
in den Nachrichten oder das Layout einer Zeitungs- oder Werbeseite),
hilft den Kindern, über ihre eigenen Produktionen und die anderer
Menschen systematisch nachzudenken (Showcase).
Die
meisten Erwachsenen sind so an etablierte Medienkonventionen (Sprache
des Films) wie Nahaufnahmen oder den Wechsel zwischen den handelnden
Personen gewöhnt, dass sie diese nur mit Mühe als Element einer
Sprache betrachten können; dennoch sind die Bedeutungszuweisungen
eingelernt.
Kinder
zeigen beträchtliche Unterschiede hinsichtlich des Alters, ab dem
sie Konventionen verstehen und nutzen lernen. Schließlich und endlich
sind auch andere Fähigkeiten - wie die Fertigkeit, Medien lesen
zu können - eine Kombination der Intelligenz des Kindes, seiner
Erfahrung mit den Medien und seiner Entwicklungsstufe. Wenn es auch
schwierig ist, ein genaues Alter zu bezeichnen, ab dem die Kinder
in diesem Bereich medienkompetent sind, gibt es zahlreiche Hinweise,
wonach die meisten Kinder ab einem Alter von etwa acht Jahren imstande
sind, Medienkonventionen zu verstehen, auch wenn sie keinen formellen
Unterricht erfahren haben.
Kenntnisse
der Kinder in den Mediensprachen können systematisch konsolidiert
und erweitert werden, speziell mittels praktischer Arbeit. Wir könnten
Kinder anregen, verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten für ihre Ideen
auszuprobieren und darüber zu entscheiden, was ihrer Meinung nach
für den jeweiligen Zweck am wirkungsvollsten ist. Dazu können wir
beispielsweise
Rahmen
oder Masken aus Pappkarton verwenden, um festzustellen, welcher
Bildausschnitt der beste für unseren Zweck ist;

eine
Gruppe von Bildern anordnen, um eine Geschichte zu erzählen (Filmische
Einheiten);
ein Mikrofon an verschiedenen Positionen aufstellen, um einen Sinn
für "Entfernung" bei Tonaufnahmen zu entwickeln;
eine Videokamera an einen Monitor anschließen, um einen Kameraschwenk
zwischen den Darstellern
auszuprobieren und zu diskutieren.
Dabei
können die Fragen und Impulse - je nach Alter und Reife - variiert
werden:
"Das
ist wieder eine Nahaufnahme, nicht wahr?"
"Wieso ist dieses Bild eigentlich anders als das vorherige?"
"Wenn wir hier nur zuhören, ohne das Bild zu sehen, was sagt uns
der Ton?"
Diese
Art von "Mediensprachbewusstsein"
kann schon sehr früh gefördert werden, wenn Lehrkräfte die
Tatsache erkennen und nutzen, dass Kinder gerne über Medien reden.
Und
nun einige Vorschläge zur Formulierung von Bildungs- und Lehraufgaben:
(Was sollten, könnten Kinder können und wissen?)
Die
Kinder sollen fähig sein,
-
folgende
Erscheinungen zu beobachten, zu bezeichnen und zum Teil
in eigenen Medientexten zu verwenden:
- verschiedene
Kamerawinkel und Entfernungen,
- Anordnungen
von Menschen und Dingen in einer Einstellung (Bildkomposition),
- Unterschiede
im Klang und Verstärkungsgrad,
- Farbe,
Schwarzweiß, Unterschiede im Farbton, Hell und Dunkel
(Beleuchtung),
Scharfeinstellung und Weichzeichner,
- verschiedene
Übergänge zwischen Aufnahmen (z. B. Ausblenden,
Schnitt; Wischen),
- Kamerabewegungen
(z. B. Schwenk, Teilbildverzerrung, Zoom),
-
Unterschiede in Schrift, Druckgröße und Schriftart,
- Unterschiede
in Papiergröße und -qualität,
-
strukturierende
Merkmale wie Musik, Spezialeffekte, Ort, Innenaufnahmen,
Außenaufnahmen, Präsentatorinnen, Kommentatoren zu bezeichnen
und darüber zu reden,
-
zwischen
Präsentieren (z. B. Nachrichten lesen, Programme ansagen)
und Spielen (z. B. eine Rolle in einem Fernsehspiel
oder Werbespot spielen) zu unterscheiden,
-
den
Einsatz von Konventionen in Medientexten zu erklären
und darüber zu reden (z. B. Sprechblasen und Rahmen
in Comics, Schlagzeilen und Fotos mit Bildunterschriften
in Zeitungen, Zoomaufnahmen, Schnitte und Überblendungen
im Film und Fernsehen),
-
redaktionellen
Verfahren im Film und Fernsehen zu folgen,
-
die
Funktion von Raum und Zeit für die Erzählung einer Geschichte
zu erkennen,
-
einen
audiovisuellen Text zu planen, zu entwickeln und für
ein Storyboard
zu zeichnen,
-
mit
Konventionen zu experimentieren.
|
Die Kinder sollten
wissen und verstehen,
-
dass
alle Teile eines Medientextes eine Bedeutung haben und
absichtlich hineingegeben wurden (Prinzip der Konstruktion),
-
wie
das Konzept der Konvention zustande kommt,
-
dass
Objekte symbolisch verwendet werden können (z. B. Aussagekraft
von Automarken),
-
dass
jede Medienform in einem gewissen Maß ihre eigene Sprache
hat, die sich im Lauf der Zeit entwickelt und sich weiterentwickeln
wird,
-
dass
die Bedeutung eines Textes geändert werden kann, indem
man Teile löscht, Teile hinzufügt, die Reihenfolge der
Teile ändert.
|
|