Das
Fernsehen war in den 50er-Jahren nicht die einzige Herausforderung,
vor die Hollywood sich gestellt sah. Filmfestivals und Filmklubs
blühten auf. Ein unabhängiges
Kino entwickelte sich vor allem in Europa, das sich nach
Nazi-Herrschaft und Krieg langsam zu erholen begann. Der zu Kriegszeiten
weiterentwickelten 16mm-Filmkamera
- in Verbindung mit kleinen Tonbandmaschinen zur gleichzeitigen
synchronen Tonaufzeichnung - fällt dabei eine Schlüsselrolle
zu. In den 60er-Jahren etablierten sich zunehmend alternative Vertriebsstrukturen
und Filmfestivals. Diese Atmosphäre ermöglichte unabhängigen
Filmkünstlern den Zugang zum internationalen Filmpublikum.
Hollywood war nicht nur mit den vom Fernsehen geschaffenen neuen
ökonomischen Strukturen beschäftigt, sondern musste sich
weltweit auch ästhetisch behaupten. In Europa und Asien drängten
sich am sozialen und politischen Diskurs interessierte Talente in
den Vordergrund.
Die
neorealistische Bewegung entstand gegen Kriegsende in Italien. Der
Autor und Kritiker Cesare Zavattine
hatte die Grundregeln des Neorealismus formuliert, Luchino
Visconti drehte mit Ossessione
(1943, Ossessione -Von Liebe besessen) einen der ersten neorealistischen
Filme.
Der
wichtigste Regisseur dieser Bewegung ist Roberto
Rosselini, der mit Filmen wie: Roma
città aperta (1945, Rom - offene Stadt), Paisà
(1946), Germania, anno zero
(1947) und Stromboli, terra di Dio
(1949) den Neorealismus entschieden weiterentwickelte.
Alle Ideen dieser Bewegung - einfache Technik, Laiendarsteller,
politische Haltung - widersprachen der Ästhetik Hollywoods,
die stets den glatten, bruchlosen Professionalismus bevorzugte.
Der Neorealismus überdauerte nur wenige Jahre, hat aber mit
Regisseuren wie: Zavattini, Rossellini, De Sica, Visconti großen
Einfluss, der bis heute fortdauert.
In
den Vereinigten Staaten gelang es Ende der 40er- und in den 50er-Jahren
nur wenigen Regisseuren, einen persönlichen Stil zu entwickeln.
Darunter Elia Kazan (On the
Waterfront, 1954), Otto Preminger
(The Man with the golden Arm, 1955), Nicholas
Ray (Rebel Without a Cause, 1955) und Douglas
Sirk (Written on the Wind, 1956). Ray und Sirk hatten
großen Einfluss auf europäische Filmemacher. Trotz interessanter
Strömungen in amerikanischen Filmen erlebte das Hollywood-Kino
in den 50er-Jahren einen steten Niedergang. Die wirklichen Neuerungen
im Kino fanden anderswo statt.
Um
1950 tauchte in den USA ein später von den Franzosen als Film
Noir bezeichnetes Genre auf: Detektivgeschichten, Gangster-Storys,
angesiedelt im städtischen Milieu. Der Film
Noir zeichnet sich vor allem durch eine dunkle und pessimistische
Grundstimmung aus. Wichtige Filme aus dieser Periode: Howard
Hawks, The Big Sleep (1946);
Raoul Walsh, White Heat (1949); Fritz
Lang, The Big Heat (1953); Jacques
Tourneurs, Out of the Past (1947); Jules
Dassins, The Naked City (1948); John
Huston, The Asphalt Jungle (1950) u.v.a.m.
Das
soziokulturelle Klima in den USA änderte sich mit dem Übergang
zum Kalten Krieg. Nachdem der Faschismus in Europa bezwungen war,
konzentrierte man sich auf ein neues/altes Feindbild: den Kommunismus.
Unter Führung des Senators Joseph R. McCarthy wurde in den
USA eine wahre Hetzjagd gegen Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens eröffnet. Der "Ausschuss
gegen unamerikanische Umtriebe" (HUAC) lud auch
Hollywoodstars zur Vernehmung. Dabei informierten u.a. Gary Cooper,
Jack L. Warner, Ronald Reagan, Louis B. Mayer, Adolphe Menjou, Robert
Tayler und Walt Disney, der seine Mickey Mouse vom Weltkommunismus
bedroht sah, seitdem sein Studio bestreikt worden war, bereitwillig
die Öffentlichkeit über die angebliche Unterwanderung.
Auch Stars wie Elia Kazan, Edward G. Robinson denunzierten 1951
Kollegen, um ihre eigene Karriere zu retten. Denn wer vorgeladen
wurde und seine Aussage verweigerte, galt automatisch als schuldig.
Die Auswirkungen auf die Filmkunst waren verheerend. Nur ein Zehntel
der auf der "schwarzen Liste" stehenden Künstler
konnte wieder an die unterbrochene Karriere anknüpfen.
Die
weit verbreitete Angst vor Invasion und Unterwanderung der Gesellschaft
ließ in Hollywood zahlreiche Sciencefictionfilme entstehen
und eine Reihe von Filmen thematisierte die Angst vor dem Atomkrieg.
Wichtige Filme: Der Tag, an dem die Erde
stillstand (1951), Die unglaubliche
Geschichte des Mr. C (1957), Invasion
of the Body Snatchers (1956).
Das
Kino spaltete sich in dieser Zeit in einen populären und einen
eher elitären Zweig, dem die zunehmende Zahl der Filmkunstkinos
(Programmkinos) Rechnung trug. In aller Welt entdeckte man das asiatische
Kino, allen voran Akira Kurosawa
mit Rashomon (1951). Ende der
50er-Jahre drehte der indische Regisseur Satyajit
Ray die Apu-Trilogie
(Pather Panchali, 1955; Aparajito, 1957; Apur Sansar, 1959), die
im Westen begeistert aufgenommen wurde.
Eines
der bedeutsamsten Filmereignisse im Europa der ausgehenden 50er-Jahre
war das Aufkommen der französischen Neuen
Welle (Nouvelle Vague) mit Regisseuren wie Claude
Chabrol,
Francois Truffaut,
Jean Luc Godard und Alain Resnais,
die 1958 und 1959 in rascher Abfolge Filme produzierten. Nahezu
zeitgleich entstand in England das Free
Cinema oder Direct Cinema
(deren Grundregel: der Filmemacher darf sich nicht einmischen) und
mit dem Oberhausener
Manifest von 1962 meldete sich auch der Junge
Deutsche Film zu Wort.
Auch
in Italien signalisierte eine neue Generation von Filmemachern wie
Federico Fellini, La Dolce Vita;
Michelangelo Antonionis L'avventura
(beide 1962) die Ankunft eines neuen Kunst-Films.
Die "Neuen" erweiterten die Grenzen des Films beträchtlich.
Einen wichtigen Beitrag lieferte auch Pier
Paolo Pasolini, der sich in seinen Romanen und seiner
politischen Lyrik für soziale Utopien stark machte. In seinen
ersten Filmen Accatone - Wer
nie sein Brot mit Tränen aß (1961) und Mamma
Roma (1962) beschäftigt er sich mit dem vergeblichen
Streben nach kleinbürgerlichem Glück.
In
dieser Periode (60er- und 70er-Jahre) sprach das Kino zumeist junges
Publikum an, konnte eine Breitenwirkung aber nur in Frankreich und
Italien entfalten. In Amerika etablierte sich mit dem John
Cassavetes-Film Shadows
(1959) das Autorenkino. Ende
der 70er-Jahre flaute der Enthusiasmus des neuen Kinos wieder ab,
bewirkte aber einen Erneuerungsprozess im Mainstream-Kino - sowohl
in den USA als auch in Europa.
Eine neue Generation von Filmemachern, teilweise geprägt durch
das Fernsehen und ausgestattet mit einer universitären Film-Ausbildung,
trat an, dieses Erbe zu übernehmen. Francis
Ford Coppola, Steven Spielberg,
Martin Scorsese und Woody
Allen, um nur ein paar zu nennen, wurden zu den Regiestars
des New Hollywood Cinema.
Ab
den 50er-Jahren wurde die Filmkultur geprägt von Filmfestivals
wie Cannes und Venedig.
Beide Festivals gewannen internationale Bedeutung. Die Präsentation
von Filmen auf Festivals hatte u. a. zur Folge, dass kleine Verleihfirmen
internationale Filme - mit Untertiteln versehen - in Programmkinos
herausbrachten und so das Publikum erreichten.
André
Bazin,
der Herausgeber der Filmzeitschrift Cahiers
du cinéma, und seine Mitstreiter (Francois
Truffaut,
Jean Luc Godard,
Jacques Rivette u. a.) waren sich in ihrer Ablehnung
des Kommerzkinos einig, standen aber Hollywood-Regisseuren wie Alfred
Hitchock,
Howard Hawks,
Orson Welles,
Otto Preminger,
Antony Mann,
Nicholas Ray,
Sam Fuller u.v.a. positiv gegenüber.
Auf
Basis der Phänomenologie Edmund Husserls entwickelte Bazin
eine Theorie des filmischen Realismus. Er wollte die Realität
möglichst direkt abbilden und technische Eingriffe so weit
wie möglich minimieren. Dabei wurde z. B. versucht, komplexe
Handlungsabläufe in langen Einstellungen filmisch unter Ausnutzung
der Schärfentiefe aufzulösen.
Die
"politique des auteurs"
(Autorenkino) wurde Anfang der 60er-Jahre zur beherrschenden Tendenz
und gewann großen Einfluss auch auf die internationale Filmkritik.
Allen voran stand der Name Francois Truffaut,
der die "politique des auteurs" eben als Kino der Autoren
verstand und mit seinen frühen Klassikern Les
Quatre cent coups (1959), Tirez
le pianiste (1961) und Jule
et Jim (1962) auch kommerziell erfolgreich war.
Wie sein Mitstreiter Truffaut, begann auch Godard
mit einer Reihe von persönlichen Filmen: Á
bout de souffle (1960), Une
femme es une femme (1961), Le
petit soldat (1960), Vivre sa
vie (1962) und Le Mépris
(1963). Godard wandte sich immer mehr der Form des Filmessays zu
und gab schließlich den fiktionalen Handlungszusammenhang
völlig auf, um das Medium gewissermaßen in heiterer Form
als persönliches Essay zu erforschen, wobei er mitreißende
dramatische Handlungen vermied. Die Vertreter der Nouvelle
Vague stellten keine homogene Gruppe dar, sondern wiesen
in verschiedene Richtungen. So brachte u.a. Agnès
Varda dokumentarische Aspekte ein, Louis
Malle wie auch Alain Resnais
waren sowohl als Schauspieler, Kameramann und Regisseur aktiv.
Resnais übertrug avantgardistische Methoden des Nouveau
roman auf seine Filme und arbeitete immer eng mit Romanciers
zusammen wie z. B. mit Marguerite Duras
und Alain Robbe-Grillet. Auch
die Filme von Eric Rohmer waren
von Romanen beeinflusst und demonstrierten, "wieviel vom literarischen
Vergnügen an Narration, Konstruktion und rationaler Analyse
in das Medium Film abzuleiten war". (Monaco,
James: Film verstehen, S. 334)
Die
Zeit seit 1960 ist auch deswegen bemerkenswert, weil eine ganze
Reihe von Filmemachern rund um den Erdball Anerkennung in der Film-Welt-Kultur
fand. So erlebte das osteuropäische Kino nach dem Tod Stalins
im Jahre 1953 eine Renaissance. Auch im Westen wurden die Zensur-Kategorien
liberalisiert und Hollywood revidierte den berüchtigten Production
Code. In der Folge wurde der Film in seiner Ausdrucksmöglichkeit
viel freier. Eine neue Form der Regulierung (Einteilung in Altersgruppen)
von Sex- und Gewaltdarstellungen setzte sich durch.
Interessante
künstlerische Entwicklungen fanden auch im so genannten Undergroundfilm
oder Avantgardefilm statt. So
produzierten Kenneth Anger,
Stan Brakhage,
Jonas Mekas u. v. a. in den USA anspruchsvolle Kunstfilme,
wobei Andy Warhols "Factory"-Undergroundfilme
auch kommerziell erfolgreich waren. Allerdings einte diese Bewegung
weniger ein gemeinsamer Stil, sondern die Notwendigkeit, sich gegen
Zensur, Razzien und Pressehatz zu solidarisieren. Was diese Filme
in den Augen der Öffentlichkeit so gefährlich machte,
war die Angst vor innovativen, provokanten und subversiven Filmen.
Die New American Cinema Group
proklamierte: "Wir wollen keine falschen, polierten, glatten
Filme - wir wollen sie rauh, unpoliert, aber lebendig. Wir wollen
keine Filme in Rosa - wir wollen sie in der Farbe des Blutes!"
(Gronemeyer, Andrea: Schnellkurs Film, S. 136)
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