Hinter den Kulissen: Fakten auf der Spur – die 6C des Gymnasiums Geblergasse in Wien zeigt wie es geht
Wie erkennt man „Fake News“ und welche Interessen stecken dahinter? Wie organisiert man eine eigene mediale Kampagne und klärt über Auswirkungen von manipulierten Meldungen auf?
Im Rahmen von „Digital Resistance“ (DigiRes) hat sich die 6C des Gymnasiums Geblergasse in Wien mit den Themen rund um Fake News, Desinformation und Manipulation befasst und dazu eigene Medienprojekte erstellt. Das von der EU geförderte Projekt DigiRes wurde initiiert, um im Sinne des Digital Citizenship-Ansatzes den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu bieten, gesellschaftliche Teilhabe auszuüben und durch eine eigenständige Wissensaneignung das selbständige Lernen zu fördern (Interview mit Johanna Urban von DigiRes hier).
Ich besuche die 6C, um mehr über die Projekte, die im Rahmen von DigiRes entstanden sind, zu erfahren. Zusammen mit seiner Kollegin Verena Nenning betreut Matthias Leichtfried das fächerübergreifende Projekt (Geschichte und Deutsch). Die Schülerinnen und Schüler haben ihre Arbeiten bereits fertig gestellt. In Kleingruppen realisierten sie insgesamt fünf Videos und ein Comic.
Am Tag meines Besuchs wird der „Aktionstag“ geplant. Die Schülerinnen und Schüler haben sich in ihren Gruppen zusammengetan und besprechen den Ablauf ihrer Präsentationen. Am 18. Juni dürfen sie ihre Arbeiten im Rahmen eines Aktionstages vorstellen. Das Besondere dabei ist, dass die 6C ihre Projekte einem jüngeren Publikum präsentiert. Insgesamt neun Klassen aus der Unterstufe (der eigenen Schule und von Schulen im benachbarten Umfeld) werden am Aktionstag ins Gymnasium Geblergasse eingeladen, damit die älteren Schülerinnen und Schüler ihr erworbenes Wissen an die Jüngeren weitergeben.
Im Gespräch mit Matthias Leichtfried

Matthias Leichtfried / Gymnasium Geblergasse Wien
“Beim Peer-to-Peer-Teaching findet ein Perspektivenwechsel statt. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich selber überlegen, wie sie ihr Wissen aufbereiten und an andere weitergeben. Sie müssen die Inhalte wirklich gut verstehen. Dieser Perspektivenwechsel ist eine wichtige Erfahrung, die im Regelunterricht selten stattfindet.”
Matthias Leichtfried ist vom geplanten Wissenstransfer überzeugt. „Beim Peer-to-Peer-Teaching geht es ja nicht nur darum, dass die Schülerinnen und Schüler sich in der Klasse gegenseitig helfen, sondern auch darum, dass Ältere ihr Wissen an Jüngere weitergeben. Ich bin mir sicher, dass meine Klasse sehr stolz darauf sein wird, ihr selbst erworbenes Expertentum an die Jüngeren weiterzureichen. Außerdem findet ja dadurch auch ein Perspektivenwechsel statt. Die präsentierenden Schülerinnen und Schüler müssen sich selber überlegen, wie sie ihr Wissen aufbereiten und wie sie die Ergebnisse vorstellen. Sie merken dann plötzlich, was es heißt, vorne zu stehen und wie eine Lehrperson Inhalte weiterzugeben. Ich glaube, dass dieser Perspektivenwechsel eine sehr wichtige Erfahrung ist, da die Schülerinnen und Schüler die Inhalte wirklich gut verstehen müssen. Im Regelunterricht findet dieser Perspektivenwechsel ja leider meist nicht statt.”
Ich mische mich unter die Kleingruppen und lausche mit, was die 15- bis 16-Jährigen bei ihrem Aktionstag so vorhaben. Youssefs Gruppe hat sich mit dem Thema Verschwörungstheorien befasst. In ihrem Video lassen die Jugendlichen einen „YouTuber“ Falschmeldungen zu 9/11 verbreiten. Das Video soll loopartig abgespielt werden „um die Aufmerksamkeit noch mehr zu vergrößern“. Außerdem möchte Youssefs Gruppe im Rahmen ihrer Präsentation mit dem Publikum ein Memory und ein Kahoot spielen. „Diese Spiele müssen wir noch etwas planen, aber wir wollen auch was Interaktives dabeihaben, damit die Jungen was zu tun haben,“ fasst Youssef die Pläne für den großen Tag zusammen.

Vor und hinter der Kamera aktiv: Youssef und sein Team
Die Idee, die Präsentationen auch interaktiv aufzubereiten, war gewissermaßen Vorgabe des Lehrers. „Die Schülerinnen und Schüler sollten sich ganz konkret überlegen, wie man sein Publikum einbinden kann und vor allem auch berücksichtigen, dass die Spiele altersadäquat sind. Es kommen ja zum Teil auch Zehnjährige.“ (Das Video von Youssefs Gruppe ist im Anhang zu finden.)

Film über Verschwörungstheorien
Ich interessiere mich für die didaktischen Methoden, die den Projektrealisierungen zugrunde liegen und frage Matthias Leichtfried nach den wichtigsten pädagogischen Überlegungen. „Neben dem „Peer-to-Peer-Teaching“-Prinzip wollten wir das Projekt auf dem forschenden Lernen aufbauen. Die Schülerinnen und Schüler durften sich ganz am Anfang eine Fragestellung zum Thema „Fake News“ aussuchen. Eine Gruppe hat sich beispielsweise mit geschichtlichen Beispielen von Falschmeldungen befasst, eine Gruppe mit der Frage, wie man Fake News überhaupt erkennt. Und dann mussten sie ihre eigenen Methoden finden, wie sie sich ihr Wissen aneignen – sie haben selber recherchiert, mussten selber überprüfen, ob die Quellen hilfreich und seriös sind. Dann haben sie sich auch überlegen müssen, wie sie das Thema medial aufbereiten. Ein Schüler hat ein Comic gezeichnet, die anderen Gruppen haben Videos erstellt. An einem zweitägigen Workshop haben eine externe Medienpädagogin und ein Medienpädagoge die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt, die technische Umsetzung anzugehen. Beim forschenden Lernen sind die Schülerinnen und Schüler somit sehr frei. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Freiheit zu einer intrinsischen Motivation führt. Jeder fühlte sich verantwortlich für seinen Teil.“

Kleingruppenarbeit in der 6C
Ich frage nach den Herausforderungen beim forschenden Lernen. Matthias Leichtfried ist sich seiner privilegierten Ausgangslage bewusst: „Sicherlich können die Ansätze beim forschenden Lernen in der Theorie oft einfacher klingen als sie es in der Praxis tatsächlich sind. Aber wir hatten das Glück, dass die 6C schon letztes Jahr ein Projekt zu einem ganz ähnlichen Thema realisiert hat und somit mit der Arbeitsweise vertraut war.“ (Anmerkung: Für ihr Projekt „Medien und Dystopie“ wurde die Klasse 2018 mit einem media literacy award [mla] ausgezeichnet. Hier geht’s zum Projekt.)

Überlegungen für den Aktionstag
Dass das freie, forschende Lernen auch bei den Schülerinnen und Schülern gut ankommt, zeigt die Evaluierung, die nach der Fertigstellung der Arbeiten von der Uni Wien erstellt wurde. Zum einen hoben die Schülerinnen und Schüler hervor, dass sie es schätzten, dass jede Gruppe individuell ihre Vorgehensweise bestimmten durfte und dass sie alles selbständig erarbeiten konnten. Als weiteres positives Feedback wurde die fächerübergreifende Zusammenarbeit genannt, sowie die Möglichkeit zu haben, sich mit einem Thema filmisch auseinander zu setzen und sich „kreativ austoben“ zu können.

Matthias Leichtfried steht bei der Gruppenarbeit unterstützend zur Seite
Matthias Leichtfried frage ich nach den Erkenntnissen und Momenten, die ihn persönlich am meisten erfreut haben. „Zum einen war der Prozessverlauf sehr spannend. Es entstanden interessante Diskussionen zwischendurch. Ich war doch recht verblüfft, wie reflektiert und komplex diskutiert und nachgedacht wurde. Aufgefallen ist mir auch eine große technische Versiertheit bei vielen Jugendlichen. Sie kennen sich mit den technischen Geräten einfach sehr gut aus. Und auch eine Medienaffinität zeigte sich bei vielen Schülerinnen und Schülern. Wir wurden für einen Beitrag von Ö1 interviewt und da war es schön zu sehen, dass die Schüler, die interviewt wurden, einige der entscheidenden Aspekte selber hervorhoben. Dass sie es schätzten, ihre eigenen Expertinnen und Experten geworden zu sein, dass sie eine große Kompetenz in Bezug auf das Thema “Fake News” erleben und generell, dass sie recht selbstsicher im Interview rüberkamen. Das alles hat mich natürlich sehr gefreut.“
Für die abschließende Evaluation befragte das Team rund um Johanna Urban von der Uni Wien die Jugendlichen zu ihren Erfahrungen und Erkenntnissen mit dem Thema “Fake News”. Es zeigte sich eine hohe Kompetenz an Medienreflexion. Bei der Frage, was Fake News sind, gaben die Jugendlichen beispielsweise an, dass „falsche Meldungen im Netz Menschen verwirren und manipulieren sollen, um meist politische Themen zu unterstützen“ und dass „Fake News den Lauf von Politik verändern können.“ 67% der Jugendlichen in der 6C gaben an, dass „Fake News“ eine Gefahr für die Demokratie bedeuten und insgesamt 86% der Schülerinnen und Schüler waren der Meinung, dass die Schule über „Fake News“ aufklären müsse. Außerdem gaben 86% der Befragten an, dass sie durch das Projekt kompetenter mit Falschmeldungen umgehen können.
Ich danke Matthias Leichtfried für den Besuch in seiner Klasse!
Zur Person:
Matthias Leichtfried (geboren 1989 in Linz) hat in Wien Deutsch und Philosophie/Psychologie auf Lehramt studiert. Seit 2016 ist Matthias Leichtfried Lehrer an der AHS Geblergasse. Außerdem studiert er seit 2015 an der Universität Wien das Doktoratsstudium und ist seit 2017 Prae-Doc Assistent am Institut für Germanistik im Bereich der Fachdidaktik Deutsch. Matthias Leichtfried befasst sich mit literarischen Unterrichtsgesprächen und der damit verbundenen Frage, wie man im Deutschunterricht über Literatur spricht.
Für das Projekt „Medien und Dystopie“ wurde die Klasse von Matthias Leichtfried im Herbst 2018 beim media literacy award [mla] in der Kategorie „Mediendidaktik“ ausgezeichnet. Mehr Infos hier: https://www.mediamanual.at/best-practice/medien-und-dystopie/
Mehr Infos zu DigiRes:
https://lehrerinnenbildung.univie.ac.at/arbeitsbereiche/didaktik-der-politischen-bildung/forschungsprojekte/laufende-projekte/digires/
https://pjp-eu.coe.int/en/web/charter-edc-hre-pilot-projects/digital-resistance
Das Projekt auf Facebook:
https://www.facebook.com/DigitalResistanceProject/
Das Projekt auf Instagram:
https://www.instagram.com/digitalresistance.project/
Das Video von Youssefs Gruppe (Danke für die Möglichkeit der Preview!)

Die 6C plant ihren Aktionstag
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