Werbekompetenz im digitalen Zeitalter – Influencerinnen und Influencern auf der Spur
„Ich poste Bilder, die ich schön finde, denn das macht ein Profil ja erst authentisch. Mein Geld verdiene ich dann mit Kooperationen. Die Firmenkaufen Pakete – eine gewisse Anzahl von Beiträgen, in denen ich ihr Produkt bewerbe. Ich habe eine Preis-Leistungs-Liste, wie ein Friseursalon. Diese Postings kennzeichne ich als Werbung, wie es das Mediengesetz vorschreibt.“
(Leonie Rachel, Influencerin / Zitat aus standard-Interview entnommen*)
Lässige Posen. Coole Outfits. Fotos und Videos, die scheinbar mühelos und ohne Inszenierungsgedanken entstanden sind. So präsentieren sich angesagte Influencerinnen und Influencer in Social Media Kanälen wie Instagram, YouTube und auf Blogs. Präsentiert werden meist Produkte rund um Mode, Beauty, Lifestyle, Sport und Reisen. Dass hinter den Aufnahmen vor allem marktwirtschaftliche Interessen und knallhart ausverhandelte Verträge mit den entsprechenden Firmenkonzernen stecken, wissen vermutlich eher wenige.
Wie wäre es, selber mal in die Rolle einer Influencerin oder eines Influencers zu schlüpfen? Selber zu überlegen, wie man ein Produkt für Instagram ins rechte Licht rückt? Würde man dann besser verstehen, welche Prozesse und Überlegungen hinter den Inszenierungen stehen?
Jugendliche eines deutschen Gymnasiums durften Fotos und Videos erstellen, um herauszufinden, worauf es bei angesagten Instagram-Aufnahmen ankommt. Das folgende Beispiel möchte aufzeigen, wie die Vermittlung von Werbekompetenz im digitalen Zeitalter aussehen kann – und durch einfache Methoden dazu einladen, sich mit dem Thema in der eigenen medienpädagogischen Arbeit auseinanderzusetzen.
Im Gespräch mit Julian Lochowicz

Julian Lochowicz
Eine Person, die sich mit dem Phänomen der Influencer und Influencerinnen auskennt und immer wieder Workshops in aktiver Medienarbeit anbietet, ist Julian Lochowicz. Er ist Medienpädagoge und hat seine Magisterarbeit über die Förderung von Werbekompetenz anhand einer Projektarbeit über Influencer-Marketing geschrieben. Ausgangspunkt seiner Forschungsarbeit war die Konzipierung, Durchführung und Evaluation eines fünfstündigen Workshops, den Julian Lochowicz im Heinrich-Böll-Gymnasium in Saalfeld in Thüringen (D) abgehalten hat.
“Bei keinem anderen Werbeformat greifen Emotionen, Authentizität und gekonntes Storytelling so gut ineinander wie beim Instagram-Marketing.”
Ich treffe Julian Lochowicz in einem Wiener Café, um mehr über seine medienpädagogische Herangehensweise zu erfahren und mir Fotos seines Workshops zeigen zu lassen. Julian ist selbst begeisterter Instagram-Nutzer und stellt regelmäßig Content auf die Plattform. Um so wichtiger ist ihm, dass junge Menschen verstehen, was sie medial umtreibt: „So vieles ist heutzutage Fake. Followerzahlen kann man zum Beispiel kaufen. Im Hintergrund treiben Bots Zahlen künstlich in die Höhe. Jugendliche wissen oft gar nicht, dass vermeintliche Popularität käuflich ist. Mir ist es ein Anliegen, dass Jugendliche ein Verständnis dafür bekommen, was ethisch nicht korrekt, aber technisch machbar ist, um Abläufe in Social Media zu durchschauen.“
Zur Durchführung des Workshops
Als Julian Lochowicz in die Klasse der Altersgruppe 14-15 Jahre eingeladen wurde, war sein Ziel, eine mediale Bewusstseinsbildung mittels der handlungsorientierten Medienpädagogik herbeizuführen. Aufbauend auf sein selbst konzipiertes Curriculum (s. Anhang) gliederte er den Workshop in drei Arbeitsphasen:
- Einführung durch theoretischen Input mit Diskussion im Plenum
- Die freie Erarbeitung der Thematik mittels aktiver Medienarbeit in Kleingruppen
- Abschluss durch Reflexion und Feedback

Erstellung eines Influencer-Profils
Zu Beginn des Workshops diskutierten die Schülerinnen und Schüler, was Influencerinnen und Influener ausmacht. Im Zentrum standen die Fragen, welche Inhalte häufig vorkommen und was Abonnenten-Zahlen bedeuten. Auch rechtliche Grundlagen wurden in der Einführungsphase eingebracht und diskutiert. Julian klärte die Jugendlichen darüber auf, dass laut dem Mediengesetz* eine Werbungs-Kennzeichnungspflicht notwendig und „Schleichwerbung“ verboten ist.
Die theoretischen Inputs, Plenumsrunden und die Kleingruppenarbeitsphasen wechselten sich ab: Auf den Input und die Diskussionen zu Influencerinnen und Influencer im Allgemeinen folgte die Kreation eines Influencers bzw. einer Influencerin nach freier Wahl seitens der Schülerinnen und Schüler. Dazu gehörte sich einen Namen zu überlegen, einen Account anzulegen, Follower-Zahlen festzusetzen und zu überlegen, welches Produkt aus den Bereichen Mode, Beauty, Lifestyle oder Sport beworben werden sollte. Julian Lochowicz betont, dass der Authentizitätsfaktor in dieser Phase entscheidend war: „Die Jugendlichen durften in die Rolle eines Influencers bzw. einer Influencerin schlüpfen. Wichtig war mir, dass die Ideen von ihnen kommen. So konnten beliebte Themen und Produkte aus ihrer Lebenswelt verarbeitet und in der Fotoserie inszeniert werden.“ Es folgten im Anschluss wieder Input und Diskussionen zu Influencer-Marketing und zur Werbekennzeichnungspflicht. Dann erstellten die Schülerinnen und Schüler Fotos oder Videos mit iPads. Den Abschluss bildeten eine Auswertungs-, Reflexions- und Feedbackrunde.

Fotoarbeit zum Thema “Fashion”

Fotoarbeit zum Thema “Lifestyle-Getränke”
Beobachtungen während der Durchführungsphase
Julian Lochowicz fand es bei der Beobachtung der Erarbeitungsphase der Jugendlichen faszinierend, wie selbstbewusst viele der Schülerinnen und Schüler vor der Kamera agierten und wie professionell Posen und Gesten ganz nach „Instagram-Manier“ eingenommen wurden. Das Know-how gekonnter Inszenierung scheint den „Digital Natives“ nicht schwer zu fallen. Neu für viele Jugendliche war das Wissen um rechtliche und wirtschaftliche Grundlagen des Influencer-Marketings. Julian Lochowicz erklärte die Grundzüge des Native Advertising, um zu verdeutlichen, dass die Verschmelzung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten zu den Erfolgsfaktoren des Influencer-Marketings gehören. Vielen Jugendlichen sei nicht bewusst gewesen, dass Kooperationen zwischen Influencerinnen und Influencern und Firmen nach harten wirtschaftlichen Kriterien ausverhandelt werden. Julian Lochowicz erklärte den Jugendlichen, dass die Influencer-Industrie mittlerweile genauso mit Vermittlungsagenturen und PR-Strategien arbeite, wie die klassische Werbeindustrie. Seine Mutmaßungen sah er in den Diskussionen mit den Jugendlichen bestätigt: „Viele Jugendliche interessieren sich eher für angesagte Celebrities und weniger für die Industrie dahinter. Was heutzutage zu den Erfolgsfaktoren des digitalen Marketings zählt, ist die Person hinter dem Produkt. Man folgt denjenigen, mit denen man sich identifiziert. Ähnlich wie bei Stars. Dass sie ganz ‚nebenbei’ coole Produkte verwenden und Anreize schaffen, ist natürlich von den Influencerinnen und Influencern und den Firmen gewollt. Dass es hierbei um Werbung geht, ist vielen Jugendlichen oft gar nicht bewusst. Ansprechende Fotos, private Erzählungen und Produktwerbung verschmelzen auf subtilste Art und Weise. Daher funktioniert Influencer-Marketing ja auch so gut.“
Schlussfolgerungen und Fazit
Nach der Präsentation ihrer Foto- und Videoarbeiten reflektierten die Schülerinnen und Schüler abschließend im Plenum, was sie während des Workshops erfahren und als neue Kenntnisse mitgenommen haben. Das freie Arbeiten erachteten die Jugendlichen als besonders gelungen. Der Lernprozess sei laut Schülerinnen und Schüler spielerisch möglich gewesen. Die Bewusstseinsbildung über mediale Prozesse sei somit über das aktive Handeln in Gang gesetzt worden und hätte sich ganz „nebenbei“ ergeben. „Ich hatte am Schluss des Tages das Gefühl, dass den Jugendlichen bewusst wurde, warum das Influencer-Marketing so gut klappt und warum sie – die Jugendlichen – natürlich die beliebteste Zielgruppe sind. Bei keinem anderen Werbeformat greifen Emotionen, Authentizität und gekonntes Storytelling so gut ineinander.“
Julian Lochowicz schmunzelt, als er über sein persönliches Fazit des Workshops nachdenkt: „Ich gehe mal stark davon aus, dass die Jugendlichen auch nach dem Workshop ihre Instagram- und YouTube-Stars bewundern und Trends in Bezug auf Mode, Lifestyle und Sport weiter nacheifern. Aber zumindest haben sie jetzt verstanden, womit Influencerinnen und Influencer ihr Geld verdienen – wenn sie es denn überhaupt so weit geschafft haben – und durchschauen ein bisschen besser, wie die Mechanismen der digitalen Werbeindustrie funktionieren.“
Julian Lochowicz hat gezeigt, wie man mit einfachen Methoden ein umfassendes Medienprojekt realisieren kann. Ein Tablet oder Smartphone genügt. Influencer-Marketing ist nah an der Lebenswelt der Jugendlichen dran und lädt dazu ein, sich mit der Förderung von Werbekompetenz im digitalen Zeitalter auseinanderzusetzen. Erfreulich, wenn Jugendliche durch medienpädagogische Projekte die Gelegenheit bekommen, in die Rolle der Produzentinnen und Produzenten zu schlüpfen – und Medien von einer ganz anderen Seite kennenzulernen. Dadurch verstehen Jugendliche erst, dass die dargestellte „Authentizität“ auf Social Media zumeist Konstruktionen sind, die bestimmten Interessen folgen, mit dem Ziel, Begehrlichkeiten zu schüren und Wünsche zu wecken.
Ich danke Julian für das aufschlussreiche und inspirierende Gespräch!
Zur Person:
Julian Lochowicz, B.A. M.A., Jahrgang 1994, Sozial- und Medienpädagoge sowie Bildungswissenschaftler.
Er hat ein Bachelorstudium „Sozialer Arbeit“ in Kiel absolviert, sowie ein Masterstudium in „Kinder- und Jugendmedien“ in Erfurt. Seit fünf Jahren ist Julian Lochowicz als freier Bildungsreferent/Pädagoge im Bereich Medienbildung für verschiedene Vereine und Institutionen tätig z.B. Offener Kanal Schleswig-Holstein, Landesfilmdienst Thüringen, Thüringer Landesmedienanstalt.
Derzeit hat Julian Lochowicz eine Assistenzstelle für Digitale Medien in Lehr- und Lernprozessen an der KPH Wien/Krems und absolviert ein Promotionsstudium in Bildungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienbildung. Sein Thema: „Wie sieht eine zielführende Medienkompetenzförderung in der SEK I an österreichischen Schulen im Rahmen der verbindlichen Übung „Digitale Grundbildung“ aus?“
Anhang und weiterführende Links:
Curriculum: FINAL-Projekt-Influencer_innen unter der Lupe-Julian Lochowicz
(Aus rechtlichen Gründen kann die dazugehörige PowerPoint-Präsentation nicht veröffentlicht werden. Das Curriculum soll also eher als Anregung dienen.)
* § 26 MedienG sieht vor, dass Ankündigungen, Empfehlungen sowie sonstige Beiträge und Berichte, für deren Veröffentlichung ein Entgelt geleistet wird, als „Anzeige“, „entgeltliche Einschaltung“ oder „Werbung“ gekennzeichnet sein müssen, es sei denn, dass Zweifel über die Entgeltlichkeit durch Gestaltung oder Anordnung ausgeschlossen werden können.
(Quelle: https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR12010106)
* Interview mit Leonie Rachel: „Ohne eine Portion Narzissmus geht es nicht“:
„Wie viel verdienen Influencerinnen und Influencer?“:
https://futurezone.at/digital-life/wie-viel-influencer-fuer-ein-bezahltes-posting-bekommen/400449697
NDR-Reportage „Influencer-Marketing: Schein des Authentischen“:
Vermittlungsagentur für digitale Produktplatzierungen:
Link-Tipps von Julian Lochowicz:
http://www.futurebiz.de/leitfaden-influencer-marketing/ (Leitfaden Influencer_innen-Marketing)
https://www.verbraucherbildung.de/artikel/zielgruppe-jung-und-online-wie-social-media-stars-ihre-beliebtheit-nutzen (Artikel der Verbraucherzentralen Deutschland zur Wirkung von Influencer-Werbung)
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