Medienkritik und Medienanalyse: Historischen Bildern auf der Spur – Waldheims Walzer im Österreichischen Filmmuseum

Print Friendly, PDF & Email

 

„Er schien sein Volk umarmen, umschlingen zu wollen.“

(Ruth Beckermann, Regisseurin von “Waldheims Walzer”)

 

 

Im April widmen wir uns dem Thema “Medienkritik und Medienanalyse” und fragen uns, wie man sich Medienkritik und Medienanalyse in der medienpädagogischen Arbeit nähern kann. Zu welchen Erkenntnissen kann uns der Einblick in historisches Filmmaterial führen? Wir schlagen eine Spurensuche im Österreichischen Filmmuseum vor und zeigen ein Beispiel auf, bei dem Bilder politischer Inszenierungen die Gelegenheit boten, in vergangene Bilderwelten einzutauchen.

 

Im Rahmen der „Woche der Medienkompetenz“ arrangierte das Österreichische Filmmuseum vergangenen Herbst eine Schulvorstellung zum Film „Waldheims Walzer“ und lud zum anschließenden Publikumsgespräch mit Regisseurin Ruth Beckermann ein. Der Dokumentarfilm ist inzwischen vielfach ausgezeichnet, u.a. in der Kategorie “Bester Kinodokumentarfilm 2019” auf der diesjährigen DIAGONALE.

 

Katharina Müller vom Österreichischen Filmmuseum im Gespräch mit Ruth Beckermann (Foto: Lisa Badura)

 

Im Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“ (2018) zeichnet Ruth Beckermann anhand von Archivmaterial den Wahlkampf des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim um das Amt des österreichischen Bundespräsidenten im Jahr 1986 nach. Die Lücken in der Kriegsbiografie des Politikers bilden die Ausgangsfrage des Films.

Ein Großteil des Archivmaterials zeigt einen Mann, der als öffentlichkeitswirksamer, charismatischer und familienfreundlicher Staatsmann inszeniert wird. Wie hätte man solch einem Mann nicht das repräsentativ höchste Amt in der Republik zutrauen können? Entsprechend großen Rückhalt genoss der Politiker in der Bevölkerung und wurde bekanntlich – wenn auch knapp – 1986 zum Bundespräsidenten gewählt.

 

„Er schien sein Volk umarmen, umschlingen zu wollen,“ ist eine Aussage, die ziemlich zu Beginn des Films aus dem Off kommt und von der Regisseurin selbst stammt. Viele der während des Wahlkampfes entstandenen Aufnahmen gehen noch heute unter die Haut. Es sind Bilder, die verführen und emotional bewegen. Sie zeigen Frauen und Männer, die dem Politiker freudig zujubeln und in die Kamera winken. Es sind affirmative Bilder, die die positive Aura und Reputation des Präsidentschaftskandidaten bestärkt haben dürften.

 

 

Während des Publikumgesprächs berichtete Ruth Beckermann über ihre herausfordernde Rolle im Rahmen des Filmprojekts. Sie war nicht nur Dokumentierende, sondern auch DemonstrierendeIm Film kommen nämlich auch jene Bilder zum Vorschein, die zu Zeiten des Wahlkampfes laut Aussage der Regisseurin von den öffentlich-rechtlichen Medien selten gezeigt wurden. Zum einen handelt es sich um selbst gedrehtes Filmmaterial (von damaligen Demonstrationen, Manifestationen und Kunstaktionen) als auch um Material aus diversen Archiven (Archiv des ORF, Staatsarchive aus dem ehemaligen Jugoslawien, Archiv des Jüdischen Weltkongresses), das die Regisseurin miteinander verwebt und somit auch die andere Seite des Politikers zeigt.

 

Ob historische oder aktuelle Bilder – diese lassen unweigerlich Fragen aufkommen. Wann sind die Bilder entstanden? In welchem Kontext sind sie entstanden? Welche Sympathien oder Antipathien kommen durch die Bilder zum Ausdruck? Was sagen sie über die Zeit aus, in der sie entstanden sind? Welche Bilder werden nicht gezeigt? Sich über die Art und Weise von Berichterstattungen Gedanken zu machen und zu reflektieren, wie unsere Medien Stellung beziehen und damit die öffentliche Meinung beeinflussen – dies alles sind Bestandteile von Medienkritik und Medienanalyse.

 

Die jungen Cineastinnen und Cineasten interessierte vor allem die Frage, wie die Regisseurin selbst die Zeit rund um den Präsidentschaftswahlkampf empfunden hatte. Wie positionierten sich die Medien im Rahmen der Verstrickungen? Welche Stimmen kamen zum Vorschein? Ruth Beckermann verwies auf die „so gut wie gar nicht existierende“ kritische Berichterstattung rund um die „Waldheim Affäre“. Die Aufdeckung der „Wehrstammkarte“, die vom Profil 1986 ausging und den Stein ins Rollen gebracht hatte, blieb laut Regisseurin die Ausnahme. So sei auch die Veröffentlichung von Interviews mit Vertretern des Jüdischen Weltkongresses – Waldheims international größten Gegnern – von den öffentlich-rechtlichen Medien in Österreich nicht ausreichend voran getrieben worden.

 

Foto: Lisa Badura

 

Der Film zeigt, wie mediale Bedeutungszusammenhänge bewusst gesteuert werden und populistische Propaganda zustande kommen kann. Zu überlegen, in welchen Situationen sich Sympathieträger befinden, in welchem Umfeld sie sich aufhalten, mit welchen Personen sie sich umgeben und welche Reaktionen sie auslösen, hilft uns zu verstehen, welche Wirkung von Bildern ausgeht und welche Autorität, Macht und Zustimmung den abgebildeten Personen beigemessen werden kann.

 

Bilder politischer Inszenierungen anzuschauen heißt daher nicht nur, (Ein-)Blick zu bekommen, wie abgebildete Personen in bestimmten Augenblicken und von bestimmten Aufnahmepositionen aus gezeigt werden. Bilder laden auch dazu ein, darüber nachzudenken, was uns die Art der Inszenierung über das Medium verrät, das die Personen zeigt. Welche politische Haltung kommt womöglich zum Ausdruck? Wie positioniert sich das Medium als solches?

 

Sich mit Bildern jeglicher Medien und Zeitepochen auseinanderzusetzen, fördert unser Verständnis davon, wie Medien visuell arbeiten. Ein Blick ins Internet oder in die Tagespresse lädt uns ein, sich mit aktuellen Bildern politischer Inszenierungen zu befassen. Wie lassen sich gegenwärtige Politikerinnen und Politiker darstellen? Welche Bilder lassen auf sehr bewusste und strategisch angelegte Inszenierungen schließen? Welches Medium steht hinter den Inszenierungen? Und in welchem Kontext erscheinen die Bilder?

 

Wir können unsere visuelle Spurensuche somit immer als Gelegenheit nehmen, zu überlegen, welche überkommenen Bilder (immer wieder) bestärkt und bekräftigt werden und ob diese mit unserer Auffassung von Realität tatsächlich übereinstimmen. Es liegt an uns zu entscheiden, welche Bedeutung wir den Bildern schenken und zu überlegen, wie alternative Darstellungsformen aussehen könnten. Der Blick in historisches Filmmaterial bietet uns die Möglichkeit, Inszenierungsformen aus verschiedenen Zeitepochen miteinander zu vergleichen und sich mit Medienkritik und Medienanalyse aus ganz verschiedenen Blickwinkeln zu befassen.

 

 

Foto: filmladen

 

 

 

Infos:

 

Das Österreichische Filmmuseum bietet in regelmäßigen Abständen eigens für Schulklassen konzipierte Vermittlungsprogramme und Lectures an. Im Zentrum steht das Erlebnis und die Erforschung historischer Bewegtbilder in ihrer ganzen Vielfalt.

Hier mehr Infos.

 

 

Die Woche der Medienkompetenz fand vom 14. bis 22. Oktober 2018 statt. Schulen, Lehrpersonen, Klassenteams sowie Vertreterinnen und Vertreter von Medien, Wissenschaft und Politik waren eingeladen, sich mit eigenen Ideen und lokalen Aktivitäten österreichweit zu beteiligen. Das Ziel bestand darin, die Bedeutung von Medienkompetenz in den gesellschaftlichen Mittelpunkt zu rücken und medienpädagogische Angebote gebündelt sichtbar zu machen. Über 120 Veranstaltungen wurden in der Woche der Medienkompetenz arrangiert.

Heuer findet die Woche der Medienkompetenz vom 20. bis 28. Oktober statt.

Hier mehr Infos.

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.