Dokumentarfilm

Ich seh was, was du nicht siehst…! Besuch einer Dokumentarfilm-Lecture im Österreichischen Filmmuseum

 

Wenn alte Filme auf ein junges Publikum treffen wird man skeptisch. Kann das gut gehen? Dass dies eine durchaus gelungene Kombination sein kann, beweist die Lecture „Auf der Suche nach dem Realen: Dokumentarfilm“. Fünf Volksschulklassen aus Wien nehmen an einer Veranstaltung im Österreichischen Filmmuseum teil.

 

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Durchaus spürbar wird, dass selbst historische Filme Kinder regelrecht „versinken“ lassen können. In ihre teils körnigen Projektionen, in ihre schwarz-weiß gehaltenen Leinwandwelten, ins Geschehen, das oftmals ohne Ton auskommt.

 

Selbst junge Menschen lassen sich auf vergangene Welten ein. Auch auf Welten, die anhand von Dokumentarfilmen präsentiert werden. Trotz, oder vielleicht gerade, weil sich die Sehgewohnheiten geändert haben. Während man sich früher oftmals auf langsame Einstellungen einzustellen hatte, verzichtet eine heutige Produktion – ob TV- oder Kinoproduktion, ob Dokumentar- oder Spielfilm – selten auf kurze Einstellungen, ungewohnte Kameraperspektiven oder einen aufwendig produzierten Ton.

 

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Heutige KinozuschauerInnen werden durch schnell aufeinander folgende, visuelle und akustische Reize in immer neue Bilderfolgen geleitet – bei Actionfilmen vielmehr: katapultiert. Aus heutiger Sicht ist für das Sehen von Filmen, die vor 100 Jahren entstanden sind, vielmehr so etwas wie Geduld gefragt. Einstellungen waren oftmals nicht nur länger, sondern durch viele Szenen mit wenig Handlung gekennzeichnet.

 

Alte Filme können bei jungen ZuschauerInnen gut ankommen. Denn Geschichten und Emotionalität entstehen unabhängig von der Zeit, in der ein Film entstanden ist. Davon können sich die etwa 100 Schülerinnen und Schüler im Alter von 7 bis 10 Jahren überzeugen. Stefan Huber, Filmvermittler und Mitarbeiter des Filmmuseums, präsentiert vier Filmbeispiele aus der Zeit zwischen 1895 und 1954. Nach jedem Beispiel gibt es Raum für Diskussion und Erörterung der Hintergrundinformationen.

 

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Die Frage nach dem Gesehenen ist die Eingangsfrage jeder Diskussion. Eine vermeintlich einfache Frage. Aber sie kann das Gespräch in viele verschiedene Richtungen öffnen. Denn wenn man sammelt, was es in einem Bild alles zu sehen gibt, kommt man rasch auf eine Fülle von Details. Und schließlich greift auch jedeR ZuschauerIn auf seine eigene Medienbiographie zurück. Filmerfahrungen und Vorlieben unterscheiden sich. Den SchülerInnen wird somit bewusst, dass „die Suche nach dem Realen“ durchaus kniffelig sein kann. Alle sehen etwas anderes. Die Reflexion der Erzählperspektive verhilft zu Rückschlüssen, ob wir uns als ZuschauerIn eher „weiter weg“ vom Geschehen oder „mittendrin“ fühlen.

 

 

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Ran an den Malkasten! – Gedanken zum Film ALPHABET

 

Über 100 000 BesucherInnen haben sich allein in Österreich Erwin Wagenhofers Film „Alphabet-Angst oder Liebe“ im Kino angeschaut. Damit gehört der Film zu den meistgesehenen heimischen Produktionen des vergangenen Jahres. Der Film erscheint jetzt auf DVD. Was kann uns der viel diskutierte Film auch aus medienpädagogischer Sicht sagen?

 

Die Kinder sind hoch konzentriert. Lassen sich von nichts aus der Ruhe bringen und prüfen mit kritischem Auge, was sie fabrizieren. Sorgsam wird nochmals nachjustiert. Es sind jedoch keine Matheaufgaben, die sie lösen, sondern großflächige Leinwände, auf denen sie mit viel Farbe ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Wir befinden uns inmitten einer Schlüsselszene von „Alphabet“. Im von Arno Stern gegründeten „Malort“ (franz. Closlieu) scheinen die Windmühlen der leistungsgetriebenen Zeit stillzustehen. Hier werden Kinder nicht nach bestimmten Vorstellungen erzogen, sondern bestimmen selbst, wie sie ihre Gedanken mit Farbe und Pinsel auf die Leinwand bringen. Hier herrscht nicht das übliche Hierarchieverhältnis zwischen Zögling und Erzieher. Hier sind die Kinder ihre eigenen Lehrmeister.

 

Foto: www.alphabet-film.com

Gesellschafts- und globalisierungskritische Dokumentarfilme sind bekanntlich Erwin Wagenhofers Spezialität. Nach einer Beobachtung der Lebensmittelindustrie („We Feed the World“, 2005) und des Finanzsektors („Let’s Make Money“, 2008) widmet sich Erwin Wagenhofer nun dem Thema Bildung. Seine Botschaft ist deutlich: Die heutige Schule – bildgewaltig anhand von überforderten Schülerinnen und Schülern in China und Deutschland in Szene gesetzt – basiert auf erzieherischen Prinzipien aus der Frühzeit der Industrialisierung. Die Schule propagiere nach wie vor einen technokratisch geprägten Wissensvorrat und fördere Denkstrukturen, die unser Wirtschafts- und Finanzsystem unhinterfragt ließen. Unser Denken könne jedoch nur verändert werden, wenn sich die Art und Weise ändere, wie wir lernen.

 

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