“Denken in Bewegtbildern“: Filmvermittlung im Österreichischen Filmmuseum: Interview mit Alejandro Bachmann

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Bachmann

Foto: Natascha Unkart

 

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“Was wir versuchen, ist genau dafür zu sensibilisieren: Was denke ich, wenn ich ein Bild sehe, was fühle ich, wenn ich einer Folge von Bildern beiwohne und worin könnte der Grund dafür liegen, dass ich dies denke oder jenes fühle?”

 

 

 

Lisa Badura: Alejandro, du bist langjähriger Mitarbeiter im Filmmuseum und leitest die Abteilung für „Vermittlung, Forschung und Publikationen“. Seit 2002 legt das Filmmuseum verstärkten Wert darauf, seine Sammlungen aber auch seine spezielle Perspektive auf das Medium Film Schülerinnen und Schülern zugänglich zu machen. Ihr bietet eigens konzipierte Lectures und Workshops an. Ihr bezeichnet euch selbst als „Schule des Sehens“. Warum muss das Sehen gelernt werden?

 

Alejandro Bachmann: Das Filmmuseum hat 2002 begonnen, spezielle Veranstaltungen für jüngere Menschen anzubieten. Mittlerweile besuchen uns im Jahr rund 6000 SchülerInnen. Mit der „Schule des Sehens“ verbinden wir mehrere Ideen, die sich nicht ganz leicht zusammenfassen lassen. Diese Ideen bilden so etwas wie die Basis unserer Veranstaltungen. Wir konzipieren Veranstaltungen beispielsweise zur Zeiterfahrung im Film, zur Montage, zur filmischen Apparatur, zu Filmfarben, zu ephemeren Bildern rund um das Jahr 1938 oder zum Genre des Zombiefilms. Worum es uns im Kern geht, ist den Blick zu öffnen und einzustudieren, dass Sehen immer schon auch Denken bedeutet.

 

Was wir also versuchen, ist genau dafür zu sensibilisieren: Was denke ich, wenn ich ein Bild sehe, was fühle ich, wenn ich einer Folge von Bildern beiwohne und worin könnte der Grund dafür liegen, dass ich dies denke oder jenes fühle? Es geht also tatsächlich um eine Sensibilisierung für das eigene Sehen. Dieses herbeizuführen ist das Ziel unserer Vermittlungsveranstaltungen. Sobald man sich dem mal bewusst geworden ist, wird es unserer Erfahrung nach deutlich leichter, sich mit ungewohnten, sperrigen, vielleicht auch verstörenden Formen des Films auseinander zu setzen. Man merkt, dass man durch neue Seh-Erfahrungen, völlig neue Gedanken und Gefühle an sich selbst beobachten kann.

 

Das Kino, seine Geschichte und seine Ästhetiken sind bei diesen Überlegungen der Ausgangspunkt, weil das Kino nicht nur eine der dominantesten Formen des Denkens in Bildern im 20. Jahrhunderts war, sondern weil es auch eine ungeheure Formenvielfalt zutage gefördert hat. Zudem liegt dem Kino auch von Anfang an eine gewisse Selbstreflexivität zugrunde – Serge Daney hat mal gesagt, das Kino sei die Reflexion der Bilder von Wirklichkeit, das Fernsehen sei einfach nur Wirklichkeit. Diese Vielfalt an Bildern, die über sich selbst als Bilder nachdenken, sichtbar zu machen, ist für uns Vermittlung. Filmgeschichte zu vermitteln, Genres zu besprechen, Gattungen kennen zu lernen, all das entsteht aus dieser Grundüberlegung. Ausgangspunkt bleibt dabei aber immer die eigene Erfahrung, das eigene Sehen, mit dem man ohne großes Wissen um Hintergründe oder Fachbegriffe erstaunlich weit kommen kann. Hier und da erläutern wir vielleicht spezielles Wissen, aber das ist aus unserer Sicht erstmal nur Beiwerk.

 

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Einlass bei einer Filmlecture, Foto: Lisa Badura

 

Das digitale Zeitalter bedeutet vor allem für junge Menschen, Filme und YouTube-Clips via iPad und Handy zu konsumieren. Kino ist eher „out“. Und schwarz-weiß oder Stummfilme gehören einer für viele völlig unbekannten Medienära an. Neben einigen aktuelleren Produktionen präsentiert ihr vor allem historisches Material.

Welche Eindrücke zeigen dir, dass eure Vorstellungen bei Schulklassen gut ankommen?

 

 

Da müsste ich vorwegnehmen, dass es uns nicht primär darum geht, gut anzukommen, obwohl ich sagen würde, dass fast alle unsere Vermittlungsveranstaltungen den SchülerInnen „Spaß“ machen. Dies aber nicht, weil wir vor allem das unterhaltsame Potenzial des Mediums Film hervorheben, sondern weil wir sie ernst nehmen. Ich bin überzeugt davon, dass das der Kern jeder gelungenen Vermittlung ist. Und dieses Ernst-nehmen findet im Angesicht bewegter Bilder statt, die wir alle gemeinsam im Saal sehen. Im anschließenden Reden geht es vor allem darum herauszufinden, was wir alle im Saal gesehen haben und das zuallererst einmal nebeneinander zu stellen.

 

Natürlich lenkt man dann das Gespräch in eine Richtung, will auf etwas Bestimmtes hinaus, aber grundsätzlich „kommt es gut an“, wenn man allen Beteiligten das Gefühl gibt, mitverantwortlich zu sein, wo es hingeht.

 

Und auch die Diskrepanz zwischen dem vermeintlich Gegenwärtigen – der digitalen Kultur und YouTube – und dem vermeintlich Überholten ist nie ganz so groß, wie das gerne behauptet wird. Gerade die Nähe bestimmter YouTube-Formate zum frühen Kino, dessen Reiz ja fundamental auch aus der Begeisterung bestand, etwas zeigen zu können, lässt sich in solchen Momenten produktiv machen. Wobei wir auch da nicht darauf hinaus wollen, dass ja „eigentlich das von Damals eh quasi irgendwie genau dasselbe ist wie heute“. Uns geht es da eher um die Unterschiede – in der Form der Werke aber auch in ihren Aufführungskontexten, aber natürlich auch um historische Linien, die man zwischen Heute und Damals ziehen könnte. Die Unterschiede herauszuarbeiten ist sicherlich ein Ziel unserer Vermittlungsarbeit, auch um einer tendenziellen Gleichmacherei der digitalen Gegenwart entgegenzuwirken.

 

Es mag ja scheinbar alles im digitalen Äther verfügbar sein, dieser Reichtum wird aber erst wirklich kostbar, wenn wir die Vielfältigkeit dessen, was da an Bewegtbildern und historischen Schichten lagert, auch erkennen und denken können.

 

Zum Kino als Ort des Filme-sehens habe ich erst neulich eine Veranstaltung konzipiert, die den etwas großspurigen Titel „Das Kino als politischer Raum“ trägt. Da habe ich mit einem vollen Saal voller 15-jährigen entlang von Filmen und Ausschnitten darüber nachgedacht, was eigentlich das Kino ist, was es auszeichnet und warum es vielleicht heute mehr denn je ein Raum sein könnte, der politisch ist: Das hat erstaunlich gut geklappt und am Ende gab es ein euphorisches Gefühl des „Ja, Kino ist das Beste“!

 

Das sind wirklich sehr schöne Momente, weil man da merkt, dass Kunstvermittlung jeglicher Art Alternativen aufmachen kann, die durchaus reizvoll auf junge Menschen wirken und das gegen eine Übermacht des Konsums und der Werbung, die ihnen meist weismachen will, nur das Neuste sei wirklich gut.

 

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SchülerInnen-Filmlecture mit Stefan Huber, Foto: Lisa Badura

 

Der zeitliche und finanzielle Aufwand, eure Veranstaltungen zu besuchen, bedarf eines gewissen Engagements. Man kann davon ausgehen, dass die LehrerInnen, die mit ihren Schulklassen zu euch kommen, filminteressiert sind und über die erforderlichen Ressourcen verfügen.

Gibt es bestimmte Zielgruppen, die ihr in Zukunft verstärkt ansprechen wollt? Welche Anreize bietet ihr Schulen, die finanziell nicht so stark aufgestellt sind? Gibt es Möglichkeiten der Unterstützung?

 

Grundsätzlich muss man sagen, dass unsere Vermittlungsveranstaltungen nur in Ausnahmefällen etwas kosten. Die Summer School – eine viertägige Weiterbildungsveranstaltung für LehrerInnen im August kostet 70 Euro, einzelne „Schule im Kino“-Formate, wie etwa unsere 70mm-Lecture in Zusammenarbeit mit dem Gartenbaukino beinhalten einen kleinen Beitrag. Aber grundsätzlich kostet es nichts, an unseren Vermittlungsveranstaltungen teilzunehmen, was uns wegen der großzügigen Unterstützung von FördergeberInnen wie dem Bundeskanzleramt, dem Fachverband der Film- und Musikindustrie oder dem Österreichischen Filminstitut möglich gemacht wird. Mir scheint das auch der richtige Zugang, der den Besuch einer solchen Veranstaltung für die Klassen organisatorisch leichter macht. Ich bin dankbar für jede LehrerIn, die neben ihren vielen Aufgaben auch noch übernimmt, einen solchen Ausflug zu planen.

Mit unserem Grundangebot von „Schule im Kino“, „Fokus Film“ und der „Summer School“ bieten wir Veranstaltungen für SchülerInnen aller Altersgruppen an, an der Universität Wien seit Jahren jedes Semester eine Lehrveranstaltung und auch für andere Hochschulen stellen wir Angebote. Momentan arbeiten wir an Modulen für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren, die wir mit europäischen Partnern entwickeln und dann umsetzen wollen.

Daneben konzipieren wir immer wieder neue Vermittlungsformate: Wir ermöglichen in Kooperation mit dem Verein Deutsch ohne Grenzen Flüchtlingen den kostenlosen Kinobesuch, haben Filmscreenings samt Diskussion mit BewohnerInnen des 9er Hauses, ehemalig obdachlosen Menschen, konzipiert, und auch schon eine erste Veranstaltung für eine Kindergartengruppe.

 

Diese Programme entwickeln wir teilweise auf eigene Initiative, teilweise, weil Gruppen mit speziellen Wünschen für ihre Bedürfnisse auf uns zukommen, was immer eine schöne Möglichkeit ist, unser Angebot zu erweitern. Grundsätzlich macht die ganze Sache meinem Kollegen Stefan Huber und mir viel Spaß. Die Grenzen der Vermittlungstätigkeit sind eher auf die Limitierung personeller und finanzieller Ressourcen zurückzuführen.

 

Auch in diesem Semester bietet ihr wieder jede Menge unterschiedliche Analysen einzelner Filme, Lectures, Workshops und Filmgespräche mit FilmemacherInnen an. Habt ihr besondere Schwerpunkte für dieses Sommersemester? Habt ihr Ideen und Wünsche für zukünftige Veranstaltungen?

 

Grundsätzlich kann man sagen, dass wir versuchen in unserem „Schule im Kino“-Programm, das jedes Semester zwischen 15 und 20 Veranstaltungen anbietet, Film in all seinen Facetten zu vermitteln: Jenseits der kommerziell dominanten Formen des abendfüllenden Spiel- und Dokumentarfilms sollen dabei auch Gattungen wie der Experimentalfilm sichtbar werden, Amateurfilm und Industriefilm erzählen vom Film als Gegenstand des Alltags und auch neuere Formen der Internet-Bewegtbildkultur werden verhandelt. Im Sommersemester wird z.B. Barbara Albert zu Gast sein, um mit den SchülerInnen über ihren ziemlich grandiosen Film LICHT zu sprechen, einen Tag später zeigen wir Buster Keatons und Roscoe „Fatty“ Arbuckles SHERLOCK JR. mit Live-Begleitung am Klavier und eine Woche drauf spricht Peter Huemer über Propagandafilme der Nazis als auch der Alliierten zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Da wird innerhalb von zwei Wochen der Spielfilm der Gegenwart neben einen Stummfilm gestellt, um dann zum Film als politische Waffe überzugehen. Wenige Tage später werden Norman Shettler und Wolfgang Pielmeier eine Lecture zum 3D-Film im Gartenbaukino veranstalten und danach spricht Volker Köster mit uns, der aus Fernsehbildern politischer Unruhen in Frankreich einen Film gemacht hat, der der offiziellen „Wahrheit“ stark entgegensteht. Im Marketing-Sprech würde man sagen „Es ist für jeden etwas dabei“, tatsächlich aber geht es uns in jedem Semester darum, das Medium Film möglichst breit zu denken und zu vermitteln.

 

 

Was sind deine persönlichen Lieblingsregisseure und Filme?

 

Es wird Dich nicht überraschen, wenn ich sage, dass ich das nicht beantworten kann. Ich sehe jedes Jahr sehr viele Filme quer durch alle Genres und Gattungen und es gibt so vieles, das mich nachhaltig zum Denken bringt oder berührt. Daher mogel ich mich einfach um die Frage rum und nenne drei Filme, die ich 2018 zum ersten Mal gesehen habe und sehr mochte: „Dragonfly Eyes“ von Xu Bing, „Logan“ von James Mangold und „Momentum 142310“ von Manuel Knapp.

 

 

Zur Person: Alejandro Bachmann

ist Vermittler, Kurator und Autor. Er leitet den Bereich Vermittlung, Forschung und Publikationen im Österreichischen Filmmuseum. Er schreibt regelmäßig für Filmzeitschriften und wissenschaftliche Publikationen mit einem Schwerpunkt auf Filmvermittlung, Experimental- und Dokumentarfilm. Er ist Herausgeber von Räume in der Zeit. Die Filme von Nikolaus Geyrhalter (Sonderzahl 2015) und Co-Herausgeber von nachdemFilm.de No. 15, „Das Unsichtbare Kino“. Zur Zeit arbeitet er an einem Buch zum dokumentarischen Schaffen von Werner Herzog.

 

 

Weiterführender Aufsatz von Alejandro Bachmann über Filmvermittlung:

http://www.nachdemfilm.de/content/no-13-filmvermittlung

 

Schrift zu Alain Bergala (mit einer Einführung von u.a. Alejandro Bachmann):

Alain Bergala – The Cinema Hypothesis – Teaching Cinema in the Classroom and Beyond:

http://filmmuseum.at/shop/shop_detail?shop_produkte_id=1474494605925

 

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